Der Platz in den Geschichtsbüchern

Der Platz in den Geschichtsbüchern

Was erklärt die Starrköpfigkeit der amtierenden Generation von Politikern im Umgang mit der Eurokrise? Man darf die alten menschlichen Laster, als da wären Neid, Eitelkeit und das einfache Verlangen nach Anerkennung, nicht unterschätzen.

Dem Bürger und Beobachter der politischen Entwicklungen stellt sich gegenwärtig des Öfteren die Frage, was in den Köpfen unserer Regierenden vorgehen mag. Jedenfalls mangelt es ihren in der Öffentlichkeit immer wiederholten Phrasen schlichtweg sowohl an Logik als auch an faktischer Untermauerung. Weder können sie erklären, warum es auch ohne das „Friedensprojekt Euro“ schon 50 Jahre lang Frieden in Europa gegeben hat, noch können sie den Menschen in Griechenland, Spanien und Portugal weiterhin glaubhaft machen, dass alles noch viel schlimmer gekommen wäre, wenn ihre Staaten bspw. vor drei Jahren ihre Schulden abgeschrieben und den Euroraum verlassen hätten.

Zudem weigert sich insbesondere Angela Merkel, die behauptete europäische Führungspersönlichkeit, ihre Karten offen auf den Tisch zu legen und die kommende Bundestagswahl gegenüber ihren Bürgern zu einer richtungsweisenden Abstimmung über eine europäische Transferunion zu erklären (die sie in jedem Fall ist). Aus praktischer Sicht wäre dieser Schritt allein schon deswegen unerwünscht, weil die Deutschen solch eine Transferunion ablehnen würden. Aber dies erklärt noch nicht den allgemeinen politischen Widerstand gegen die Einsicht, dass der Euro mit massiven, wenn auch nicht sonderlich komplizierten, ökonomischen Fehlkonstruktionen behaftet ist, die sein Fortbestehen in der jetzigen Form nur gegen den Preis tiefer Verwerfungen zwischen den Eurostaaten ermöglichen. Der Grund für diesen Widerstand ist so simpel, wie er besorgniserregend ist: Für die amtierende politische Klasse steht viel mehr auf dem Spiel als „nur“ die Frage nach der wirtschaftlichen Überlebensfähigkeit der Eurozone – es geht um ihr Vermächtnis.

Man braucht nicht viel Phantasie, um sich vorstellen zu können, wie viele europäische Bürger Namen wie Olli Rehn und José Manuel Barroso ohne Eurokrise korrekt zuordnen könnten. Sicherlich hätte Herman van Rompuy zu anderen Zeiten nicht die Gelegenheit gehabt, den an die EU verliehenen Friedensnobelpreis entgegen zu nehmen. Anders ausgedrückt: Die Eurorettung ist das Projekt einer Generation von Politikern, die sonst nicht allzu viel vorzuweisen hätte. Scheitert der Euro, scheitert nicht notwendigerweise Europa, aber sicherlich Europas politische Klasse. Vielleicht fehlte es ihr an geeigneteren historischen Gelegenheiten wie der Nachkriegszeit, als sich Konrad Adenauer und Charles de Gaulle mit klugen und weitsichtigen Entscheidungen um den Wiederaufbau und die Aussöhnung Westeuropas verdient machen konnten. In dieselbe Kategorie fällt die Wendezeit, als durch den Bankrott des Ostblocks das Tor zur friedlichen Einigung Deutschlands und Europas offenstand – eine Gelegenheit, die Helmut Kohl dankbar nutzte. Vielleicht mangelt es ihr auch am Mut und Charisma eines Willy Brandt, der mit seiner Ostpolitik den zuvor geltenden Konsens zu durchbrechen wagte, oder an der praktikablen Intellektualität eines Helmut Schmidt. Im Fall von Angela Merkel kommt außerdem hinzu, dass der Euro in erster Linie immer ein Projekt der Christlich Demokratischen Union gewesen ist, vererbt vom Kanzler der Einheit Kohl. Es muss einer Kanzlerin mit demselben Parteibuch unmöglich erscheinen, dasselbe Projekt nur 15 Jahre nach seiner Einführung als ökonomische Leichtsinnigkeit zu beerdigen.

Wolfgang Schäuble kommt dabei – nicht zum ersten Mal – eine geradezu tragische Rolle zu. 1990 leistete er große Beiträge zur deutschen Einheit, aber den Großteil des Ruhms strich bekanntermaßen ein anderer ein. Kurz nach seinem Abgang riss der politische Zieh- und Übervater seinen Schützling dann noch mit sich in den Spendensumpf. Für Schäuble bedeutete dies den Verlust des Parteivorsitzes und der sicher geglaubten Kanzlerschaft. Durch seinen Amtsantritt als Finanzminister 2009 kurz vor Ausbruch der Eurokrise erhielt er aber nochmal eine Gelegenheit zur Bewährung – und zur Sicherung seines Eintrags ins europäische Geschichtsbuch. Die Verleihung des Karlspreises 2012 war ein guter Schritt in diese Richtung. Allerdings werden erst die kommenden Jahre endgültig darüber entscheiden, ob Schäuble wirklich als aufopfernder Retter und Sanierer der europäischen Idee in Erinnerung bleiben wird – oder als kaltherziger Kaputtsparer, der die Gräben zwischen den Völkern Europas eher aufgerissen denn zugeschüttet hat.

Dies soll nicht andeuten, dass alle Entscheidungen in der Eurokrise nur aus selbstsüchtigen Motiven heraus verhandelt und getroffen werden. Es soll daran erinnern, dass auch Politiker nur Menschen sind – die sich allerdings in Positionen befinden, in denen ihre Schwächen ungleich größeren Schaden anrichten können. Der menschliche Wunsch, Anerkennung für etwas zu erhalten, dem man Unmengen an Zeit und Mühe gewidmet hat, ist nur allzu verständlich. Aber gerade in der politischen Arbeit, die dem Dienst am Volk und nicht an der Karriere verpflichtet sein soll, bedarf dieses Verlangen besonderer Zähmung. Die Bürger täten gut daran, die dahingehende charakterliche Eignung der Amtsinhaber und Kandidaten schärfer in Zweifel zu ziehen. Denn die Menschen, die mit den Entscheidungen der Politik zu leben und nicht selten auch unter ihnen zu leiden hatten, sind in den Geschichtsbüchern meist Randnotizen geblieben.

Andreas Backhaus

Andreas Backhaus promoviert an der Ludwig-Maximilians-Universität München zu den Themen Entwicklungsökonomie und internationale Wirtschaftsbeziehungen.