Im Abseits

Im Abseits

In Deutschland macht sich eine anti-russische Stimmung breit. Putins europäischen Kritikern geht es dabei nicht um Menschenrechte, sondern um handfeste geopolitische Interessen.

Die gegenwärtige Lage in den deutsch-russischen Beziehungen ist bedenklich und erfüllt mit Sorge. Jetzt rächt sich, dass weder Berlin oder Brüssel noch Moskau in der Lage waren, eine Strategie für gemeinsame Ziele zu formulieren, ganz zu schweigen davon, dass es in den zwanzig Jahren Transformation nicht gelang, gemeinsame Institutionen aufzubauen oder existente für Moskau zu öffnen. So zerschellten auch alle Bemühungen, eine euroatlantische Sicherheitsgemeinschaft konzeptionell anzugehen. Dieses Manko wurde durch die engen deutsch-russischen Beziehungen bisher übertüncht und austariert.

Die einträchtigen Beziehungen zwischen Berlin und Moskau, die im Ziel einer „Modernisierungspartnerschaft“ kulminierten, stehen nun im Fadenkreuz einer ideologischen Kampagne, die sich seit dem September 2011 medial unaufhörlich aufschaukelte und in die Politik eindrang. Das Ziel der Kampagne ist unverkennbar: Der Anker der europäisch-russischen Beziehungen, nämlich Deutschland, soll auf das niedrige Durchschnittsniveau der europäisch-russischen Beziehungen zurückgestutzt werden. Damit würde Moskau geschwächt, denn die deutsche Vermittlung und Fürsprache im europäischen Kontext könnte nun von anderen übernommen werden.

Zwanzig Jahre Aufbauarbeit

In der deutschen Politik selbst vollzieht sich ein Vorgang, der seit der Hallstein-Doktrin in dieser Schärfe nicht mehr eingefordert wurde. Nichts weniger als die Konditionierung der deutschen Außen- und Wirtschaftspolitik gegenüber Moskau fordert eine konzertierte Aktion von deutschen Medien, NGOs und Politikern aus nahezu allen Parteien. Menschenrechte und Demokratie wögen mehr als wirtschaftliche Interessen, lautet ihr Kampfruf. Durch Erhöhung des internationalen Drucks und Androhung der Ächtung Moskaus soll ideell, ganz im Sinne des Urvaters solcher Vorstellungen, George Bush, ein „Regime Change“ eingeleitet und vor allem die unisono zur „Bête Noir“ hochstilisierte Figur Putin weggedrängt werden.

Diese Kampagne hat nicht nur bewirkt, dass deutsche Politiker Äußerungen zu Russland vermeiden. So wurde der SPD-Kanzlerkandidat in der „FAZ“ jüngst zwei Mal abgekanzelt. Das alles kann noch mit Parteinahme im Wahlkampf bemäntelt werden, aber diese Kampagne hat Folgen, denn sie hat auf beiden Seiten Kräfte auf den Plan gerufen, welche die Geschicke beider Länder auf Konfrontationskurs zu bringen suchen. Diese Gefahr ist real, denn rücksichtslos und borniert wird all das, was an Vertrauen in den letzten zwanzig Jahren seit dem Untergang der Sowjetunion aufgebaut wurde, beschädigt.

Kern der Auseinandersetzung ist nicht die stereotype und blutarme Kontroverse „Interessen versus Werte“. Diese Debatte, emotional und kaum zielgerichtet geführt, bildet seit Jahren nur die Oberfläche ab. Im Hintergrund wirken vielmehr andere Faktoren, Entwicklungen nämlich, die bereits zur Veränderung von Machtkonstellationen im internationalen Staatensystem beigetragen haben und den Zustand der Europäischen Union beeinträchtigen. Die seit 2009 grassierende Finanzkrise und die daraus u.a. resultierende außenpolitische Immobilität wie die Gefahr der Fragmentierung der EU, die relative Schwäche der USA, globale Aufgaben auch in der Zukunft zu schultern und Europa auch zukünftig uneingeschränkte Sicherheit zu gewähren, sowie der unaufhaltsame Aufstieg von Schwellenländern zu Wachstumsmotoren der Weltwirtschaft schüren Ängste in allen politischen Lagern. Denn in dem Grad, wie sich eine andere globale Ordnung abzeichnet, könnte in Mitgliedsländern der EU ein Diskurs über sicherheitspolitische und wirtschaftliche Zukunftsorientierungen anbrechen, sodass bindende Allianzen überdacht werden müssten.

Die deutsche Politik steht aufgrund der langjährigen partnerschaftlichen Beziehungen zu Moskau im Fokus dieser Ziele. Mit anderen Worten: diese Partnerschaft soll reduziert und Moskau an den Rand Europas abgeschoben werden, damit unter allen Umständen die Priorität der transatlantischen Beziehungen gewahrt bleibt. In diese Richtung zielen möglicherweise auch wirtschaftliche Interessen, etwa die Beteiligung deutscher Konzerne an der Re-Industrialisierung der USA.

Als Folge solcher Abdrängungspolitik wird auch die Idee einer gesamteuropäischen Friedens- und Sicherheitsordnung zugunsten der Konzeption geteilter Sicherheit in Europa aufgegeben. Die Dynamik der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Berlin und Moskau wird somit eingehegt und politisch neutralisiert. Als Kern der so betriebenen Wende in der europäischen wie deutschen Russlandpolitik scheint sich das Ziel herauszukristallisieren, Russland als partnerschaftliches Konstrukt aus dem europäischen Politikkreis von Sicherheit, Frieden und Wohlfahrt zu verbannen.

Keine Sicherheit ohne Russland

Damit wird die alte Formel, dass es keine Sicherheit in Europa ohne oder gegen Russland geben könne, verworfen und medial jene ans Kreuz genagelt, die sich in Experten- oder Politikerkreisen um eine kritische aber nicht ausgrenzende Sicht insbesondere der innerrussischen Entwicklung bemühen. Außer Acht gelassen wird dabei, ohne die irrational anmutende Politik des Kremls in der letzten Zeit zu exkulpieren, dass Moskau gegen eine solche Politik auch reagieren kann und über Optionen verfügt. Jedoch hat es den Anschein, dass sich jene Kräfte, die den Wandel der deutschen Politik einfordern, weder um die Folgen einer solchen Ausgrenzungspolitik, nämlich was sie in Russland anrichten würde, noch um die Probleme scheren, die durch eine Marginalisierung Russlands in Europa auftreten könnten. Wie sollen beispielsweise bei innergesellschaftlichen Konflikten, ganz zu schweigen von möglichen militärischen Auseinandersetzungen zwischen Staaten in diesem „Zwischeneuropa“ dann Moskau, Berlin und Brüssel zusammenfinden? Kein Konflikt in der Ukraine, in Belarus oder im Kaukasus kann ohne Mitwirken Moskaus allein von der EU, der NATO oder Washington gelöst oder befriedet werden.

Die Ausgrenzungspolitik stärkt nur jene Kräfte in Russland, die von der EU nichts mehr erwarten und lieber auf die eurasische Karte setzen oder die Zukunft des Landes in der sich mausernden Liga der BRICS sehen. Die oppositionellen Kräfte Russlands werden dabei nicht gestärkt, insbesondere nicht jene, die sich auf die EU orientieren. Es ist ein Spiel mit dem Feuer, aber das gehört ja zum Repertoire der Fundamentalisten.

Peter Schulze

Peter Schulze ist Professor für Politikwissenschaft, Internationale Beziehungen und Russland-Studien an der Georg-August-Universität Göttingen

Der Beitrag wurde im Rahmen unserer Kooperation mit dem Online-Debattenmagazin “The European” veröffentlicht. Zur >> [Erstveröffentlichung] und zur entsprechenden >> [Debatte] bei “The European”.