Das iranische Atomprogramm: Wer hat Recht? Eine völkerrechtliche Analyse.

Das iranische Atomprogramm: Wer hat Recht? Eine völkerrechtliche Analyse.

Im Streit um das iranische Atomprogramm hat sich eine komplexe Situation entwickelt. Doch wer hat eigentlich Recht? Die Frage lässt sich in zwei Dimensionen beantworten: Rechtlich und politisch. Der  Beitrag soll zur Klärung der völkerrechtlichen Fragestellungen beitragen – hat der Iran ein Recht zur friedlichen Nutzung der Kernenergie? Wurde dieses Recht durch die mangelnde Kooperation mit der Internationalen Atomenergie-Behörde verwirkt? Dürfte ein Staat wie Israel im Zweifel auch zu militärischen Mitteln greifen?

Für einen Einstieg in die Thematik sei folgender Beitrag empfohlen: [Das internationale Regime nuklearer Nonproliferation].

1. Das iranische Atomprogramm im Überblick

August 2002 enthüllte eine iranische Dissidentengruppe die Existenz einer bis dato nicht bekannten Urananreicherungsanlage in Natanz sowie eines Schwerwasserreaktors in Arak. In Reaktion auf internationalen Druck stimmte der Iran daraufhin im Februar 2003 einer Inspektion durch die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEA) zu. Das Inspektionsteam unter der Leitung des damaligen IAEA-Generaldirektors Mohammed ElBaradei kam zu dem Schluss, dass der Iran seine Verpflichtung zur Deklaration nuklearen Materials aus dem abgeschlossenen Safeguard-Abkommen verletzt hatte, gleichzeitig aber weit davon entfernt war, genug Material für den Bau eines atomaren Sprengsatzes herzustellen. Zur Deeskalation der Lage stimmte der Iran einer Aussetzung seines Urananreicherungsprogramms zu, unterzeichnete Dezember 2003 ein erweitertes Sicherungsabkommen mit der IAEA und unterwarf sich freiwillig unangemeldeten Kontrollen. Der folgende Bericht der IAEA ergab keine Beweise für eine Verbindung zwischen dem gefundenen nuklearen Material und einer militärischen Nutzung.

Zu einem folgenschweren Richtungswechsel kam es jedoch mit der Wahl des konservativen iranischen Präsidenten Ahmadinedschad im August 2005. Der Iran beendete die Verhandlungen und begann, unter Verweis auf sein Recht zur friedlichen Nutzung der Kernenergie aus Art. IV Abs. 1 des Nuklearen Nichverbreitungsvertrags (NPT), sein Atomprogramm erneut aufzunehmen. Dies bildete September 2005 den Anlass für die IAEA, die non-compliance des Iran mit seinen Verpflichtungen aus dem Safeguard Abkommen formell festzustellen und die Sache Februar 2006 an den UN-Sicherheitsrat (UNSC) zu überweisen. Daraufhin stellte der Iran jede über rechtliche Mindestanforderungen hinausgehende Kooperation ein und beendete die freiwillige Zusammenarbeit nach dem erweiterten Zusatzprotokoll. Der UN-Sicherheitsrat reagierte hierauf mit der Verabschiedung der Resolution 1696, die den Iran zur Aussetzung der Urananreicherung aufforderte. Doch der erwünschte Erfolg blieb aus, im Gegenteil deklarierte der Iran Ende 2009 eine weitere bis dato unbekannte Urananreicherungsanlage in der Nähe der Stadt Qom, die durch ihre Größe und Lage auf eine militärische Nutzung hindeutet. Auch die weiteren seit 2006 durch den Sicherheitsrat verabschiedeten Resolutionen, zuletzt im Juni 2010 Resolution 1929, konnten trotz schärfer werdender Sanktionen kein Einlenken bewirken.

2. Wie ist das Vorgehen des Iran im Lichte des Völkerrechts zu bewerten?

Fraglich ist zunächst, ob die Handlungen des Iran vom NPT-Recht auf friedliche Nutzung der Kernenergie gedeckt werden. Ferner könnte ein etwaiges Recht auf friedliche Nutzung durch die mangelnde Kooperation des Iran mit der IAEA verwirkt worden sein; schließlich sind die rechtlichen Auswirkungen der UNSC-Resolutionen zu untersuchen.

a) Das iranische Atomprogramm im Lichte des Nichtverbreitungsvertrags (NPT)

Der Streit um das iranische Atomprogramm illustriert in anschaulicher Weise, dass die im NPT vorgesehene strikte Trennung zwischen friedlicher und militärischer Nutzung der Nukleartechnologie in der Realität kaum umsetzbar ist. Es handelt sich vielmehr um eine so genannte “Dual-use-Technologie”: Viele der Anlagen, die für die Aufrechterhaltung eines zivilen Atomprogramms benötigt werden, können leicht auch für die Herstellung waffenfähigen Materials gebraucht werden [siehe Das internationale Regime nuklearer Nonproliferation]. Vor diesem Hintergrund wird argumentiert, das in Art. IV Abs. 1 NPT vorgesehene Recht zur friedlichen Nutzung der Kernenergie sei so auszulegen, dass es den Nichtkernwaffenstaaten (NNWS) lediglich die Nutzung der nicht-sensitiven Teile der Nukleartechnologie gestatte. Damit hätte der Iran kein Recht, sensitive Anlagen mit dual-use-Kapazität wie die Urananreicherungsanlage in Natanz zu betreiben. Eine derartige Argumentation ist allerdings vor dem Hintergrund der nach Art. 31 Abs. 3 Wiener Vertragsrechtskonvention (WVK) für die Auslegung maßgeblichen Staatenpraxis kaum haltbar. Seit Inkrafttreten des NPT 1970 haben zahlreiche Nicht-Kernwaffenstaaten, darunter Deutschland oder Brasilien, einen vollständigen Brennstoffzyklus inklusive sensitiver Technologien entwickelt, ohne dass es zu Aufruhr in der internationalen Staatengemeinschaft gekommen wäre.

Es ist vielmehr anzunehmen, dass zur Zeit der Ausarbeitung des NPT niemand der Verhandlungspartner daran dachte, dass vierzig Jahre später auch Staaten wie der Iran oder Nordkorea sowohl technisch wie finanziell in der Lage sein würden, ein eigenes Nuklearprogramm zu entwickeln. Damit sind die iranischen Anlagen grundsätzlich vom Recht auf friedliche Nutzung aus Art. IV Abs. 1 NPT erfasst.

b) Verwirkung des Rechts auf friedliche Nutzung

Dennoch kann die Tatsache, dass viele der zivilen Anlagen leicht für militärische Zwecke missbraucht werden könnten, nicht ignoriert werden. Daher ist jedes Land nach Art. III NPT verpflichtet, seine nuklearen Anlagen durch die IAEA überwachen zu lassen. Rechtsgrundlage für die Überwachung bildet ein völkerrechtlicher Vertrag (sog. Sicherungsabkommen), welcher das Land zur Deklaration jeglicher nuklearen Anlagen und Kooperation mit der IAEA verpflichtet. Mit der Geheimhaltung seines Nuklearprogramms bis 2002 und der mangelnden Kooperation ab 2005 hat der Iran seine Verpflichtungen aus dem Sicherungsabkommen verletzt. Bei unbefangener Betrachtung könnte man erwarten, die Rechte auf friedliche Nutzung der Nuklearenergie bestünden nur solange, wie die zur Überwachung der Friedlichkeit dienenden Sicherungsabkommen vollständig eingehalten werden. Ein derartiger Automatismus ist dem NPT-Regime jedoch fremd:

Eine Verwirkung des Rechts auf friedliche Nutzung aus Art. IV Abs. 1 NPT tritt erst mit dem endgültigen Nachweis militärischer Nutzungsabsichten ein. Die Tatsache, dass der Iran seine Sicherungsabkommen mit der IAEA verletzt hat, hat diesbezüglich jedoch allenfalls Indizwirkung. Schon in einem der ersten Reports nach 2002 weist die IAEA darauf hin, dass keinerlei Beweise für einen Zusammenhang der nicht deklarierten iranischen Anlagen mit einem Atomwaffenprogramm bestünden. Und Selbst der neueste Bericht von 2010 spricht lediglich von “Bedenken” in Bezug auf die “mögliche Existenz” eines militärischen Programms.

Damit lassen die Indizien bis heute keinen eindeutigen Schluss auf die Absicht einer militärischen Nutzung zu. Das Recht des Iran auf friedliche Nutzung der Kernenergie aus Art. IV Abs. 1 NPT wurde daher auch noch nicht verwirkt.

c) Die Resolutionen des UN-Sicherheitsrats

Im Jahr 2006 entschloss sich die IAEA schließlich, vom einzigen innerhalb des NPT-Regime zur Verfügung stehenden Sanktionsmechanismus Gebrauch zu machen: In einer politisch heiklen Entscheidung wurde die Angelegenheit vom Gouverneursrat der IAEA an der UN-Sicherheitsrat überwiesen. In mehreren Resolutionen forderte dieser den Iran auf, sein Atomprogramm zu suspendieren. Damit kommt es zu einer fundamentalen Änderung der Rechtslage. Die Resolutionen des UNSC sind nach Artt. 25, 103 der UN-Charta gegenüber allen sich aus internationalen Verträgen ergebenden Rechtspositionen vorrangig. Damit kommt die iranische Argumentation zu einem Endpunkt: Die Fortführung des iranischen Atomprogramms entgegen der UNSC-Resolutionen ist völkerrechtswidrig.


3. Rechtmäßigkeit eines präemptiven Militärschlags gegen den Iran

Zwar ist der Versuch einer Eindämmung des iranischen Atomprogramms mittels militärischer Gewalt nach Ansicht der meisten Beobachter faktisch wenig erfolgsversprechend, im Angesicht historischer Erfahrungen und schärfer werdender Rhetorik in der Iranfrage aber durchaus kein auszuschließendes Szenario. Die Vereinbarkeit einer solchen Vorgehensweise mit dem Völkerrecht wäre dabei höchst problematisch. Eine Anwendung von Gewalt ist nach dem Gewaltverbot in Art. 2 Abs. 4 UNCh grundsätzlich unzulässig. Einzig mögliche Rechtfertigung wäre eine Ermächtigung durch den Sicherheitsrat oder die Berufung auf das Recht zur Selbstverteidigung aus Art. 51 UNCh. Eine entsprechende Resolution des UNSC ist vor dem Hintergrund der Verflechtungen zwischen dem Iran und den Vetomächten Russland und China mehr als unwahrscheinlich. Somit bliebe allein ein Rückgriff auf Art. 51 UNCh. Ob sich daraus jedoch ein Recht zur präventiven Selbstverteidigung ableiten lässt, ist in Anbetracht der Voraussetzung eines „bewaffneten Angriffs“ in Art. 51 UNCh umstritten. Und selbst wenn man ein solches Recht anerkennt, muss die vorliegende Bedrohung nach der sog. Caroline-Formel zumindest unmittelbarer Natur sein. Angesichts des aktuellen Fortschritts seines Atomprogramms ist der Iran von der potentiellen Entwicklung einer Atombombe jedoch noch mindestens ein Jahr entfernt und erfüllt so kaum die Anforderungen zeitlicher Unmittelbarkeit. Ein Militärschlag gegen das Land ist folglich aus einer völkerrechtlichen Perspektive ausgeschlossen.

Dass ein Staat wie Israel im ähnlich gelagerten Fall der Bombardierung eines syrischen Nuklearreaktors 2007 in Verletzung seiner bedeutendsten Pflichten aus der UN-Charta dennoch zu militärischen Mitteln greift, offenbart hingegen das tiefgreifende Misstrauen gegenüber der Wirksamkeit der im NPT-Regime vorgesehenen Verfahren.

Alexander Pyka

Bildquellen: eigene Grafiken (c) Alexander Pyka
Bibliographische Angaben:

Gharagozli, Behnam, War of Words or a Regional Desaster? The (Il)Legality of Israeli and Iranian Military Options, in: Hastings International and Comparative Law Review 2010, S. 203 – 244.

Pyka, Alexander, Political Concessions Prevent Nuclear Weapons, Atlantic Community, Beitrag vom 29.10.2010 (letzter Zugriff: 15.02.2011).

Schulenberg, Sebastian, Der iranische Atomkonflikt und die friedliche Nutzung der Kernenergie nach dem Nichtverbreitungsvertrag, in: Archiv des Völkerrechts 2008, S. 407 – 424.

Spector, Leonard S., Slowing Proliferation: Why Legal Tools Matter, in: Vermont Law Review 2010, S. 619 – 631.

Spies, Michael, Iran and the Limits of the Nuclear Non-Proliferation Regime, in: American University International Law Review 2007, S. 402 – 443.