Mexiko: Ein Land in einem unkontrollierbaren Drogenkrieg

Mexiko: Ein Land in einem unkontrollierbaren Drogenkrieg

Seit fünf Jahren versucht die mexikanische Regierung vergeblich die Drogenkartelle zu zerschlagen. Trotz der Aufstockung von Spezialeinheiten nehmen die Gewalt und die Zahl der Zivilopfer drastisch zu. Gegen die Drogenkartelle militärisch vorzugehen ist zwecklos, solange nicht die sozio-ökonomischen Probleme des Landes gelöst sind, die das organisierte Verbrechen begünstigen.  

Ein ganzes Land ist im Angstzustand. Tägliche Entführungen, Morddrohungen und Straßengefechte stehen seit Monaten auf der Tagesordnung mexikanischer Städte und Dörfer. Die ansonsten überfüllten, öffentlichen Plätze sind nun nach Einbruch der Dunkelheit menschenleer und nur Einschusslöcher in Hausmauern zeugen am nächsten Tag von den Geschehnissen in der Nacht. Die mexikanische Regierung versucht mit allen Mitteln die Geschehnisse zu vertuschen. Die wenigsten Vorfälle werden öffentlich berichtet und oft zu Gunsten der Regierung manipuliert. Umso schneller breiten sich die Geschichten und Gerüchte in der Bevölkerung wie ein Lauffeuer aus. Der Drogenkrieg ist zum omnipräsenten Thema geworden.

Seitdem Felipe Calderón im Dezember 2006 den Krieg gegen das organisierte Verbrechen ausgerufen hat, herrscht in Mexiko ein Ausnahmezustand. Nach offiziellen Angaben wurden seither mehr als 35.000 Menschen, darunter zahllose Zivilsten, in den Auseinandersetzungen zwischen Regierungstruppen und Drogenmafia getötet. Beschränkte sich der Konflikt bis vor wenigen Jahren noch weitgehend auf gewisse Gebiete im Norden des Landes und die Drogenkreise an sich, breitet er sich derzeit rasant über das ganze Land aus und involviert immer mehr die Zivilbevölkerung.

Besonders die Gebiete im Norden Mexikos, nahe der US-amerikanischen Grenze, werden aufgrund der Handelswege in die USA von den Drogenkartellen kontrolliert. So hat die Drogenhochburg Ciudad Juarez, an der Grenze zu den USA, in 2010 als gefährlichste Stadt der Welt mit 3111 Morden im Jahr einen traurigen, wie alarmierenden Titel errungen. Desweiteren betroffen sind Hauptanbaugebiete wie z.B. die zum Anbau klimatisch begünstigten Bundesstaaten Michoacan und Quintana Roo.  Neben den Ballungszentren wurden in den letzten zwei Jahren auch immer häufiger Gebiete im Süden des Landes Schauplatz von Auseinandersetzungen. Nach den ersten erfolgreichen Fahndungen und Festnahmen durch die Regierungstruppen haben sich viele Mitglieder der Mafia weiter in die Mitte und in den Süden des Landes zurückgezogen, der bis dahin noch nicht so stark kontrolliert wurde.

Ein weiteres Phänomen ist der Zusammenschluss von Kartellen. Im Februar 2010 haben sich drei der einflussreichsten Kartelle La Familia Michoacana, Cartel de Sinaloa und das Cartel del Golfo zur  Einheit Carteles Unidos zusammengeschlossen. Ihnen gegenüber steht die Allianz der Kartelle Los Zetas, Cartel de los Beltrán Leyva und Cartel de Juárez. Aufgrund der Rivalität der zwei mächtigen Allianzen kommt es immer wieder zu brutalen Kämpfen und Morden zwischen den Kartellen, von denen wiederum auch die Zivilbevölkerung betroffen ist. Es wird bereits davon gesprochen, dass die Kartelle die Regierungstruppen für ihre Zwecke missbrauchen. So soll es zu inszenierten Blutbädern in gegnerischen Gebieten gekommen sein, um den Einsatz der Regierungstruppen zu provozieren und das gegnerische Kartell mit Hilfe des Militärs zu schwächen. So hat Carteles Unidos maßgeblich von den Regierungseinsätzen im Norden profitiert um sich Gebiete der geschwächten Tijuana- und Juárez-Kartelle zu sichern.

Die Regierungstruppen bestehen aus einer Spezialeinheit aus 94.540 Soldaten der Armee und Marine, die die Arbeit der Polizei unterstützt. In den fünf Jahren konnten einige Erfolge verzeichnet werden, die für das In- und Ausland medienwirksam inszeniert wurden. So wurde bereits in der internationalen Presse Kritik laut, als in den letzten Monaten Geständnisse von gefassten Drogenbossen, u.a. José de Jesús ‘El ChangoMéndez, Jesús Enrique Rejón Aguilar El Mamito  und García Montoya, vor laufender Kamera zur besten Sendezeit im mexikanischen Fernsehen ausgestrahlt wurden. Es wird befürchtet, dass es zu Abmachungen zwischen den Verdächtigen und der Polizei kam und ein Geständnis vor der Kamera zu Strafmilderung führte. Die Regierung will sich für ihre Erfolge von der Bevölkerung feiern lassen und übersieht dabei, dass sie den Tätern eine Plattform der Selbstdarstellung und Heroisierung bietet. Die Macht und Kontrolle, die sie damit demonstrativ signalisieren will, entgleiten ihr langsam aber sicher.

Ein Blick auf die offiziellen Zahlen, die vom Minister für öffentliche Sicherheit, Genaro García Luna, veröffentlicht wurden, macht jedoch deutlich, mit welchen Verlusten diese Erfolge errungen wurden. In den fünf Jahren wurden 2.408 Mitglieder des organisierten Verbrechens festgenommen, in der gleichen Zeit starben im Gefecht 2.886 Soldaten und Polizisten. Provokativ könnte man sagen, dass jede Festnahme 1,1 Leben auf Seiten der Regierungstruppe kostet.

Auch der Brandanschlag am 26. August 2011 auf ein Kasino im Norden des Landes hat wieder einmal auf schockierende Art demonstriert, dass die Regierung, trotz einer starken Aufrüstung, die Zivilbevölkerung nicht ausreichend vor Gewalt von Seiten des organisierten Verbrechens schützen kann. Der seit fünf Jahren andauernde Drogenkrieg hat die Kartelle nicht wirklich schwächen können und keinen erhofften schnellen Frieden gebracht. Im Gegenteil, die Anschläge und Auseinandersetzungen nehmen in ihrer Brutalität und Skrupellosigkeit stetig zu. Belief sich die Zahl der Morde im Jahr 2006 noch auf 486, kam es nach der Kriegserklärung zu einem sprunghaften Anstieg: Im Jahr 2007 waren es 2.477 Tote, in 2008 6.290, in 2009 9.724 und 2010 waren es sogar 15.273 Tote.

Diese Fakten machen auf erschreckende Weise deutlich, dass der Kampf gegen die Drogenmafia bislang erfolglos blieb. Militärische Operationen allein sind nicht ausreichend um die Kartelle zu zerschlagen. Es müssen Strategien gefunden werden die das Land langfristig umstrukturieren. Bisherige Lösungsansätze beschränken sich auf die Bekämpfung der Symptome, statt ihren Ursachen auf den Grund zu gehen. Ein erster Schritt war die Legalisierung mehrerer harter und weicher Drogen, welche im Schatten der Schweinegrippe im Sommer 2009 relativ unbemerkt vollzogen wurde. Zur Überlegung steht nun die Duldung der illegalen Aktivitäten gegen Gewaltverzicht, was schwierig ist, da die meisten blutigen Auseinandersetzungen zwischen den Kartellen aufgrund von Territoriumsansprüchen ausgetragen werden und weniger mit der Regierung zu tun haben.  Denn solange nicht der Ursprung der Mafia in Mexiko bekämpft wird, bleibt die Regierung gegenüber dem organisierten Verbrechen machtlos.

Dabei nimmt die Reichtumsverteilung und die damit verbundenen Chancen eine tragende Rolle im Konflikt ein, da der Eintritt in eine Bande oft aus finanziellen Anreizen aufgrund fehlender Alternativen erfolgt. Mexiko belegte 2011 im Ranking der OECD  mit einem Gini-Index von 048,  den unrühmlichen zweiten Platz für die stärkste Ungleichheit in puncto Einkommensverteilung. Fernando Cortés, Professor der renommierten Nationalen Autonomen Universität von Mexiko, merkt dabei an, dass das Ergebnis bedeutend gravierender ausgefallen wäre, wenn die illegalen Finanzströme aus Menschen- und Drogenhandel mit einbezogen worden wären. Obwohl es keine Studien über die exakte Reichtumsverteilung gibt, kann man dennoch sagen, dass man in Mexiko eine stark oligopolistische Gesellschaftsstruktur antrifft, an dessen Spitze einflussreiche Familienklans stehen. Während der mexikanische Unternehmer Carlos Slim seit Jahren die Forbes-Liste der reichsten Menschen der Welt anführt, leben 36% der Mexikaner unterhalb der Armutsgrenze. Aus der jährlichen nationalen Erhebung der Einkommen und Ausgaben in Privathaushalten (Enigh) geht hervor, dass die ärmsten zehn Prozent der Bevölkerung ein Drittel (36,3%) ihres Einkommens aus Schenkungen und Unterstützung generieren. Sie sind abhängig von Auslandsüberweisungen, die meist von Migranten, die in den USA für ihre Familien arbeiten, getätigt werden.

Auf der Suche nach Arbeit und besseren Lebensbedingungen wandern trotz verschärfter Grenzkontrollen jährlich ca. 400.000 Mexikaner in die USA aus. Es wird angenommen, dass derzeit 11 Millionen Mexikaner in den USA leben, etwa 3 Millionen davon illegal. Die Auslandsüberweisungen sichern nicht nur das Überleben von Millionen armer Familien, sondern stellen für den mexikanischen Staat auch eine bedeutende Devisenquelle dar. Im vergangenen Jahr betrugen die erfassten Überweisungen zwischen den USA und Mexiko 22,5 Milliarden Dollar, geschätzte weitere 7 Milliarden werden nicht überwiesen, sondern persönlich überbracht.

Für alle, die ihr Land nicht verlassen können oder wollen, stellt der Dienst für die Drogenmafia eine alternative Einnahmequelle dar. Die Erhebung Enigh zeigt, dass seit den 70er Jahren immer weniger Familien ihre Einkünfte aus formeller Arbeit in registrierten Betrieben beziehen, sondern immer mehr Menschen von Einkünften aus informeller Arbeit, illegaler Arbeit und kriminellen Geschäften abhängig sind. Vor allem bei der benachteiligten Landbevölkerung stellt das Geschäft mit den Drogen einen lukrativen Ausweg aus der Armut dar. Als Beispiel soll der bereits erwähnte Bundesstaat Michoacan aufgeführt werden, der zu den Hauptanbaugebieten und Drogenhochburgen Mexikos zählt. Im Bundesstaat Michoacan leben 32,5% der Bevölkerung in extremer Armut, während im Vergleich der nationale Durchschnitt bei 12,6% liegt. Um der Armut zu entfliehen, wandern viele Bewohner temporär in die USA aus. Trotz der Entfernung zur US-amerikanischen Grenze liegt Michoacan mit erfassten 4,2% im Ausland-Lebenden auf Platz 2 im nationalen Migrationsvergleich.  Andere sehen ihren Ausweg im lukrativen Drogenanbau. Solange keine Alternativen geschaffen werden, die die Lebensgrundlage der Menschen sichern können, sind sie gezwungen mit den Drogenkartellen zu kooperieren und sich in ihre Dienste zu stellen.

Anstatt mehr Soldaten braucht das Land tiefgreifende Reformen. Mexikos Regierung wird die Nachfrage an Drogen nicht stoppen können, aber sie kann Bedingungen schaffen, die den Anbau und Transport von Drogen unattraktiv machen. Nur so kann sie die Drogenkartelle schwächen und ihre langfristige Zerschlagung erreichen. Ein erster Ansatz ist im Bundesstaat Oaxaca zu beobachten, wo man versucht mit konkreten Maßnahmen mehr Chancen auf dem Land zu schaffen, indem man die Infrastruktur verbessert und gezielt Universitäten in abgeschiedenen Regionen aufbaut. Desweiteren gibt es mexikoweit eine Initiative, die in kleinen Dörfern höhere Schulabschlüsse über Onlineschulen (kleine Hütten mit Computern und Internet) ermöglicht. Doch bis diese Initiativen Früchte tragen, wird es wohl noch dauern.

Auch in den für 2012 anstehenden Präsidentschaftswahlen wird die Bekämpfung der Drogenkriminalität wieder ein wichtiges Thema sein. Es ist abzuwarten welchen Kurs die neue Regierung wählen wird.

Julia Maier

Weiterführende Literatur:

Grayson, George W., 2010. Mexico. Narco-Violence and a Failed State?. New Jersey: Transaction Publishers.

Hoffmann, Karl-Dieter, 2011. Calderóns gescheiterter Feldzug gegen die Drogenkartelle. Das Parlament vom 4. Oktober 2011.

Nadelmann, Ethan, 2007. Calderón y el combate al narcotráfico. La Jornada vom 8. März 2007.

Salazar Adame, Jaime, 2007. Las raíses del narcotráfico. La Jornada Guerrero vom 12. Juni 2007.