Plädoyer für eine europäische Staatsanwaltschaft

Plädoyer für eine europäische Staatsanwaltschaft

Die Diskussion zur künftigen Europäischen Staatsanwaltschaft ist voll im Gange. Die europaweiten Ermittler hätten jede Menge zu tun. Die Straftaten zum finanziellen Nachteil der Union nehmen zu. Fördermittel- und massiver Mehrwertsteuerbetrug, aber auch Schmuggel, Produktpiraterie und Medikamentenfälschungen schaden dem Einzelnen wie auch der gesamten EU.

Die Probleme, denen sich die Europäische Staatsanwaltschaft als neue Behörde widmen könnte, nehmen dramatisch zu. Dazu zählen auch die zu wenig beachteten Entwicklungen bei Schmuggel, Produkt- und Markenpiraterie und vor allem der boomende Markt von Medikamentenfälschungen. Wo immer hoher Profit bei geringem Risiko winkt, etabliert sich sehr rasch die organisierte Kriminalität in schärfsten Ausformungen. In drei Workshops, nämlich in Warschau, Brüssel und in Berlin, hat EurActiv diese Themen erörtert, deren Gefahren weitgehend unterschätzt werden. Denn seit dem Arabischen Frühling blickt die EU allzu sehr in den Süden auf Mafiaprobleme, Korruption und illegale Einwanderung. Dabei verliert sie die massiven Probleme an den östlichen EU-Außengrenzen aus den Augen. Schmuggel von Alkohol und Zigaretten, von Fahrzeugen und Luxusgütern, von Benzin, Drogen und sogar Medikamenten.

Experten beobachten mit Sorge, wie diese milliardenschweren Kriminalitätsbereiche vernachlässigt werden – von der Politik, der Bevölkerung, die darin nur Kavaliersdelikte sieht, von den Medien und sogar von vielen Staatsanwaltschaften, die „nicht den Büttel für die Unternehmen machen wollen“. Besonders hervorzuheben sind Arzneimittelfälschungen, ein „boomender Markt ohne Ende“. 2011 sollen europaweit 27 Millionen gefälschter Medikamente sichergestellt worden sein. Da der Zoll aber nur 1 bis 2 Prozent der Warenströme tatsächlich kontrollieren kann, geht es hier bloß um die Spitze eines Eisberges. Bei den falschen Medikamenten handelt es sich längst nicht nur um Viagra, sondern auch um Blutdrucksenker, Krebsmittel, Impfstoffe und sogar homöopathische Mittel.

„Beim Ausstellen eines Totenscheines kommt doch keiner auf die Idee, dass das daneben liegende Medikament womöglich überhaupt keinen Wirkstoff hatte und gefälscht war“, gab eine Expertin zu bedenken. Ähnlich der Trend bei Zigaretten: Beispielsweise sei bei den gefälschten Jin Ling Zigaretten mit einer Gewinnspanne von 900 Prozent zu rechnen. In nachgeahmten Zigaretten finden sich jedoch Pestizide, Schimmelpilze, sogar geschredderte CDs, zerkleinerter Schrott, gehäckselte Baumrinde. Allein durch Zigarettenschmuggel entstand zwischen 2010 und 2012 in den EU-Ländern ein Schaden von mehr als 34 Milliarden Euro. In Lettland ist beispielsweise jede dritte Zigarette nicht versteuert, in Deutschland genau jede fünfte.

Schon jetzt mangelt es in vielen Bereichen an der Rechtsdurchsetzung. Zu Gammelfleisch- und anderen Skandalen kommt es immer wieder, weil es nicht mehr genügend Personen zur Kontrolle vor Ort gibt. „Wir brauchen mehr an Durchsetzung. Wenn man keine Angst hat, entdeckt zu werden, geht man doch skrupellos seinem Profit nach“, erklärten die Experten. Die Schmuggler sind meist besser organisiert als die Behörden, sie kennen keine Kompetenzprobleme und reagieren höchst flexibel auf Veränderungen. Und sie lassen sogar gelegentlich selbst einen Schmuggeltransport hochgehen – damit Zollbeamte und Ermittler mit einem „Fund“ beschäftigt und abgelenkt sind, während daneben ganz große Dinge laufen. Das Problem: Nicht nur die Kriminalität ist von Staat zu Staat verschieden, auch die Gesetze, die Prioritäten im Strafverfolgungsdruck und auch die gesellschaftliche Akzeptanz sind höchst unterschiedlich. Das gäbe viel Arbeit für eine EU-Staatsanwaltschaft.

Ewald König

König ist Herausgeber und Chefredakteur des europapolitischen Portals EurActiv.de. Der Artikel wurde auch im Diplomatischen Magazin veröffentlicht (Ausgabe Juli 2013).