Podiumsdiskussion “Shifting Powers, Shifting Values” – ein Rückblick

Podiumsdiskussion “Shifting Powers, Shifting Values” – ein Rückblick

Die Podiumsdiskussion “Deutsche Entwicklungszusammenarbeit im Afrika der BRIC” bildete den Abschluss der IFAIR-Themenreihe “Shifting Powers, Shifting Values” und fand am 4. Mai 2012 in der Hertie-School of Governance statt. In der Diskussion unter der Leitung von Vanessa Fischer (Deutsche Welle) wurden Experten der Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft zur Frage zusammengebracht, welche Implikationen die aktuellen Veränderungen der globalen Machtverhältnisse für die Ausrichtung deutscher Entwicklungszusammenarbeit mit sich bringen.

1. „Neue“ Geber zwischen Harmonisierung und eigenen Wegen

Jochen Steinhilber, FES

Zu Beginn wiesen sowohl Jochen Steinhilber (Referatsleiter „Globale Politik und Entwicklung“ der Friedrich-Ebert-Stiftung) als auch Dr. Andreas Pfeil (Referat 210 des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) darauf hin, dass man innerhalb der so genannten “neuen” Geber – ein Terminus, der begrifflich sowohl politisch als auch in Bezug auf die zeitliche Einordnung umstritten ist – stark differenzieren müsste. So schließe sich etwa Russland zunehmend den DAC Kriterien (Development Assistance Committee der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, OECD) an und betreibe seine Entwicklungspolitik im Rahmen multilateraler Agenturen, während sich China und Indien hauptsächlich im Bereich des Schuldenerlasses und durch den Aufbau von Infrastruktur in Entwicklungsländern betätigten. Brasilien und die Staaten der arabischen Halbinsel etwa zeigten sich sehr offen gegenüber multilateralen Modellen und sog. Dreieckskooperationen. Dr. Pfeil hob vor allem die unterschiedlichen Positionen und Interessen der diversen Akteure hervor. Dabei betonte er nicht nur die Unterschiede in den Modellen und Zielregionen der Zusammenarbeit der Schwellenländer, sondern auch die Heterogenität auf Akteursebene: Die meisten Staaten hätten keine eigenen EZ-Agenturen, vielmehr würden sie durch eine Mischung staatlicher, parastaatlicher und privatwirtschaftlicher Akteure aktiv. Wesentlich sei hier ein scharfer Blick für die Motive, die dem jeweiligen Engagement zu Grunde lägen. Dabei sei gerade die Unterscheidung zwischen Werten und Interessen oftmals eine Scheindebatte, so Steinhilber,  denn auf allen Seiten würden Werte diskutiert und wäre die Interessenlage plural strukturiert.

Prof. Dr. Theo Rauch, FU Berlin

Prof. Dr. Theo Rauch (Zentrum für Entwicklungsländerforschung der FU Berlin) stellte dem eine Gemeinsamkeit der Initiativen der Schwellen gegenüber: Für ihn bestünde ein einendes Moment im Statement gegen die traditionelle Art der Zusammenarbeit, also in der Ablösung einer neo- oder postkolonialen Phase durch wirklich globalisierte Prozesse. Auch wenn es sich hierbei um eine Art “Antikoalition” handle, hob Rauch die positiven Seiten einer derartigen Entwicklung hervor: Für ihn können alle Seiten, vor allem jedoch die Entwicklungsstaaten einen hohen Zuwachs an Entscheidungsfreiheit verzeichnen, weil sie zum ersten Mal Alternativen zum von OECD, Weltbank und IWF geprägten Entwicklungsmodell sähen. Dabei spielten für die betroffenen Staaten vor allem die von Indien und Brasilien gebotenen sozialstaatlich orientierten Modelle eine wesentliche Rolle, da sie sich deutlich vom marktliberalen Modell der “alten” Geber. Dr. Pfeil wies in diesem Zusammenhang kritisch darauf hin, dass das Engagement der Schwellenländer Risiken für Umwelt-, Arbeits- und Sozialstandards berge. Zudem sei es bei den “neuen” Gebern schwierig zu unterscheiden, ob es sich um Außenwirtschaftsförderung oder Entwicklungspolitik handle, was man daran sehe, dass etwa bei chinesischen Projekten oft nicht nur Know-how, sondern auch die benötigten Fachkräfte aus dem eigenen Land mitgebracht würden. Dies widerspreche den Zielen einer nachhaltigen Entwicklung.

Auch Ralf Südhoff (Leiter des Berliner Büros des World Food Programmes) schätzte die von Prof. Rauch betonte neue Wahlfreiheit als ambivalent ein. Zwar seien einerseits die Spielräume für die Entwicklungsstaaten gewachsen, ihre Kooperationspartner frei zu wählen. Dies käme jedoch in keinem Fall einem Zugewinn an Freiheit für die Menschen vor Ort gleich, da diese vielfach nicht am politischen Willensbildungsprozess beteiligt seien. Andererseits sah er in der wachsenden Pluralität der Geber insofern einen Vorteil, als sie gerade in Bezug auf Nothilfe etwa bei Hungerskatastrophen eine breitere finanzielle Basis sichere, wobei die Schwellenländer sich gerade in den Bereichen engagierten, aus denen sich westliche Geber immer weiter zurückzögen.

2. Neue Wege in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit

Dr. Andreas Pfeil, BMZ; Jochen Steinhilber; Ralf Südhoff, WFP

Hierbei thematisierte Südhoff nicht nur aktuelle Phänomene wie das so genannte land grabbing (Landraub), das inzwischen von diversen Akteuren praktiziert würde und immer mehr drohe, die Ernährungssicherung zu gefährden. Er kritisierte auch spezifische Trends in der Ausrichtung westlicher Entwicklungspolitik und bezweifelte insbesondere ihre Glaubwürdigkeit. Einerseits werfe man bspw. den Chinesen vor, sie würden durch ihre Infrastruktur- und Bauprojekte in Afrika kein capacity building befördern. Andererseits jedoch habe er gerade bei deutschen Projekten den Eindruck, man würde diese vor allem deswegen lancieren, um deutsche Sichtbarkeit in Krisensituationen herzustellen, also sein Fähnchen öffentlichkeitswirksam platzieren. In seinen Augen spräche dafür, dass deutsche Entwicklungsprojekte gemäß Koalitionsvertrag zu 70% bilateral sein müssten, es faktisch aber in manchen Sektoren zu über 95% seien. Damit vermittle man nicht den Eindruck, eigene Interessen hintan zu stellen und tatsächlich multilateral agieren zu wollen.

Dies widerspräche einer zukunftsorientierten Ausrichtung der Entwicklungspolitik und würde die Bedeutung des westlichen Modells weiterhin senken, wie auch Steinhilber betonte. Für ihn liege die Zukunft der Entwicklungszusammenarbeit in einer stärkeren Arbeitsteilung der “Geber”-Staaten, was sich vor allem durch eine zunehmende Europäisierung der Entwicklungspolitik vorantreiben ließe. Eigene Portfolios wie die Deutschlands seien daher eine strategisch falsche Entscheidung.

3. Arbeitsteilung als globale Strategie

Die Arbeitsteilung könne man auch mit den neuen Gebern weiter verfolgen. Es sei nicht etwa so, dass die “Software” der klassischen Modelle der Zusammenarbeit des Westens immer das Nachsehen gegenüber der “Hardware” der Chinesen, zumal ohne daran geknüpfte Konditionen, habe. Die Entwicklungsstaaten hätten sowohl einen Bedarf an state und capacity building, also der Steigerung der Durchsetzungskapazitäten des Staates und der Sicherung seiner Funkitonalität, als auch an Infrastrukturprojekten, wie sie bspw. von China durchgeführt würden. Auch Dr. Pfeil sah die unterschiedlichen Geberstrategien als weitgehend komplementär an. Während sich die DAC-Staaten aus bestimmten Bereichen zusehends zurückzögen, würden diese nun durch die Schwellenländer neu gefüllt. Dabei sei hilfreich, dass die Schwellenländer eine den Entwicklungsstaaten viel ähnlichere Entwicklungserfahrung hätten, als dies in Bezug auf westliche Staaten der Fall sei. Auch Prof. Rauch betonte, dass China, aber auch die asiatischen Tigerstaaten immer mehr als Leitbild für den eigenen Weg gesehen würden. Dies gelte auch dafür, dass man unter Umständen einen autoritäreren Regierungsstil im Sinne einer effektiveren Entwicklung bevorzuge. Dr. Pfeil machte vor allem die so genannten Dreieckskooperationen als etwaiges Zukunftsmodell zur Einbindung der Schwellenländer in die Entwicklungszusammenarbeit stark. Dabei würden sowohl die finanziellen Ressourcen als auch die Erfahrungen und das Know-how eines Industriestaates und eines Schwellenlandes für die Beratung eines Entwicklungsstaates urbar gemacht. Als Beispiel nannte er ein deutsch-brasilianisches Projekt zum Eichwesen in Mosambik. Allerdings nuancierte er, dass diese Form der Kooperation nicht mit allen Staaten möglich sei und sich gerade Indien und China bisher nicht in Dreieckskooperationen einbinden ließen. Insgesamt sehe er in der zukünftigen Koordinierung aller “Geber” die größte Herausforderung. Zwar hätte sich gezeigt, dass die Schwellenländer zur freiwilligen Selbstverpflichtung auf bestimmte Ziele der globalen Entwicklungsstrategien bereit seien. Jedoch, so gab Steinhilber zu bedenken, sei es an der Zeit, neue Governance Mechanismen außerhalb der DAC / OECD-Welt zu finden. Dabei biete sich insbesondere das Dach der Vereinten Nationen an. Dies wäre auch dem Ziel einer tatsächlichen Partnerschaft auf Augenhöhe zuträglich.

4. Neue Foren und Selbstbestimmtheit in der Entwicklung

Prof. Rauch unterstrich diesen Aspekt energisch, indem er erneut auf die Relevanz des Konzepts von country ownership verwies.

Vanessa Fischer (DW), Prof. Dr. Theo Rauch, Dr. Andreas Pfeil, Jochen Steinhilber, Ralf Südhoff

Es sei gerade nicht im Interesse der afrikanischen Länder, wenn die Koordinierungsbemühungen auf der Geberseite allzu erfolgreich wären. Denn dies würde eine erneute Einschränkung ihrer eigenen Wahlmöglichkeiten bedeuten. Gerade die Pluralität der Geber arbeite auf wesentliches Ziel auch der DAC-Staaten hin, nämlich die Aufteilung der Welt in Geber und Nehmer abzuschaffen und durch globale Partnerschaften zu ersetzen. Steinhilber plädierte in diesem Sinne auch dafür, über innovative Systeme der global governance nachzudenken, die dieser Struktur Rechnung trage.

Insgesamt sei die Hysterie, ja regelrechte Panik in Bezug auf das entwicklungspolitische Engagement der BRIC-Staaten nur vor dem Hintergrund zu verstehen, dass die globalen Machtverschiebungen die OECD-Welt insgesamt und in verschiedenen Politikbereichen erschütterten. Die Entwicklungspolitik sei damit nur ein Ort, an dem die Neuordnung der Welt sich manifestiere.

Hanna Pfeifer

Vorstand und Regionalleiterin Nahost und Nordafrika