Stärkung Indigener Rechte: Hintergrund und Bedeutung des Urteils im Fall „Sarayaku vs. Ecuador“

Stärkung Indigener Rechte: Hintergrund und Bedeutung des Urteils im Fall „Sarayaku vs. Ecuador“

Nach fast 10 Jahren intensiver Verhandlungen hat der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte (IGMR) in Costa Rica am 25. Juli sein Urteil in einem international vielbeachteten Rechtsstreit gefällt. Im Jahr 2002 klagte der indigene Stamm der Sarayaku vor dem Tribunal gegen den ecuadorianischen Staat. Dieser hatte sechs Jahre zuvor einem argentinischen Erdölunternehmen die Erkundungs- und Schürfrechte für Förderblocks auf dem Gebiet der Sarayaku erteilt, ohne den Volkstamm vorher zu konsultieren. Das Gericht sieht hier eine Verletzung der kollektiven Rechte der Sarayaku und verurteilt Ecuadors Regierung zu Entschädigungszahlungen in Höhe von $1,4 Mio.

Die knapp 2000 Angehörige umfassende und verstreut lebende Gemeinde des indigenen Quechua-Stammes bewohnt etwa die Hälfte des damals zur Förderung ausgeschriebenen bloque 23, ein größtenteils unberührtes, knapp 500.000 Hektar großes Urwaldgebiet im Südosten Ecuadors.

Was eine Erschließung der Erdölvorkommen des bloque 23 für die Lebensweise ihres Stammes bedeuten würde, konnten die Sarayaku bereits vor der Vergabe der Schürfrechte an die argentinische Compañía General de Combustibles (CGC) im Jahr 1996 erahnen. Ölförderungen im Block 1, direkt nördlich des Sarayaku-Gebiets gelegen, wurden zwischen 1971 und 1991 von ChevronTexaco und später von der staatlichen Petroecuador durchgeführt. Die Belastungen für Umwelt und Menschen waren enorm und wirken bis heute nach: Zerstörte Böden, der Verlust der Jagdfauna für die indigenen Stämme, ein erhöhtes Krebsaufkommen, Fehlgeburten, sozialer Verfall und Vertreibung. Mehr als andere später betroffene Gemeinden, deren Widerstand gegen die Bohrungen durch materielle Anreize gebrochen werden konnte, beobachteten die Sarayaku diese Entwicklungen mit Sorge. Entsprechend wehrhaft reagierten sie gegen den Vertragsschluss zwischen der ecuadorianischen Regierung und der CGC, in den sie nicht eingebunden waren.

Die herkömmliche Methode zum Auffinden von Öllagerstätten („Reflexions-Seismik“) sieht die Durchführung tausender Sprengungen an der Erdoberfläche vor. Bis zum Jahr 2003 bohrte und bestückte die CGC 467 Sprenglöcher mit insgesamt 1444 Kg Sprengstoff in unmittelbarer Nähe der Sarayaku-Gemeinde. Nur dem fortlaufend heftigen Protest der Sarayaku-Indigenen, der durch die Bündnisschließung mit internationalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und der Klage vor dem IGMR im Jahr 2002 die notwendige Aufmerksamkeit und Durchschlagskraft erhielt, ist es zu verdanken, dass diese Sprengungen bis zur Beendigung des Fördervertrages im Jahr 2010 nicht durchgeführt wurden. Unversehrt blieben die Gemeinden dennoch nicht: Die Verschmutzung von Flüssen und Wasserreservoirs, massive Abholzung und die Zerstörung heiliger Stätten wurden beklagt.

Der Rechtsstreit vor dem IGMR mit Sitz in Costa Rica trat im Juli 2011 in die entscheidende Phase. Zunächst schilderten Repräsentanten der Sarayaku ihre Erfahrungen Staatsanwälten des Gerichts in San José. Im April 2012 reiste wiederum eine Delegation der Corte nach Ecuador, um sich vor Ort ein abschließendes Bild der zurückliegenden Geschehnisse im Zuge der Aktivitäten von CGC zu machen. Am Ende des langen Rechtsstreits steht nun ein Urteil, welches sowohl den Sarayaku-Indianern Recht und Entschädigung zuspricht, als auch für die Emanzipationsbestrebungen indigener Völker weltweit Bedeutung hat.

In ihrem Urteil sehen die Richter des IGMR durch die staatliche Genehmigung des Projekts und das Vorgehen der CGC eine klare Verletzung des Rechts der Sarayaku auf eine vorhergehende Konsultation, sowie eine Missachtung des kommunalen Besitzrechts, der kulturellen Identität und physischen Integrität der Sarayaku. Die ecuadorianische Regierung wird aufgefordert, Entschädigungsleistungen in Höhe von $1,4 Mio. (ca. €1,135 Mio.) zu erbringen, die verbliebenen Sprengstoffanlagen zu entfernen und die rechtlichen Bestimmungen zum Vertragsabschluss entsprechender Förderprojekte und zur Konsultation von betroffenen Gruppen zu revidieren. Zukünftig sollen letztere in den „ersten Phasen“ eines Erschließungsplans angehört werden und „nicht nur, wenn die Notwendigkeit gegeben ist, die Zustimmung der Gemeinde zu erhalten“. Ein generelles Förderverbot auf dem Gebiet der Sarayaku bedeutet das Urteil allerdings nicht.

Auch über die Landesgrenzen Ecuadors hinaus wird das Urteil nun genau studiert. Hinter dem Rechtsstreit steht nämlich ein für viele lateinamerikanische Staaten beispielhaftes Dilemma. Hohe externe Schulden und steigende weltweite Erdölpreise erhöhen die Anreize massiv, durch die Erschließung riesiger Erdölvorkommen im Amazonasurwald erhebliche Mehreinnahmen zu generieren. Auf der anderen Seite hat sich in den letzten Jahren gezeigt, dass die Förderung von Rohstoffen und die infrastrukturelle Integration der Urwaldgebiete nicht nur äußerst schädliche Auswirkungen auf Fauna und Flora und die natürlichen Lebensgrundlagen der Menschen haben, sondern darüber hinaus auch schwer vereinbar mit dem Schutz der kollektiven Rechte von indigenen Bevölkerungen verlaufen, die die lukrativen Landstriche oftmals bewohnen. Das Urteil im Fall Sarayaku vs. Ecuador zeigt: Wurden die Anliegen dieser indigenen Gruppen in früherer Zeit noch ignoriert oder die Verbreitung von Nachrichten über Menschenrechtsverletzungen tief im Urwald einfach verhindert, so ist heute durch das Wachstum nationaler Zivilgesellschaften und internationaler advocacy groups, dank neuer Möglichkeiten der Informationsverbreitung und die Stärkung der regionalen und internationalen Rechtsprechung die Durchsetzung staatlich-korporativer Interessen auf Kosten organisierter Bürger nur noch schwer zu erreichen.

Wahrscheinlich wäre es übertrieben, nun eine Klagewelle in anderen Ländern des Kontinents zu erwarten. Auf alle Fälle wird das Urteil jedoch eine wichtige Argumentationsquelle für die Zuwehrsetzung indigener Gruppen gegen Bedrohungen ihrer traditionellen Lebensweisen in der Region darstellen – zuvorderst wohl in Peru und Brasilien, die eine Vielzahl bedrohter Urwaldvölker beheimaten. Beispielsweise wurde die brasilianische Regierung im Frühjahr 2012 wiederholt für die unzureichenden Maßnahmen zum Schutz des Stammes der Awá gerügt, die sich von illegal operierenden Holzfällerbanden in ihrer Existenz bedroht sehen. Doch auch überregional könnte die Jurisprudenz beeinflusst werden, beschränkt sich die in „Sarayaku vs. Ecuador“ thematisierte Problematik nicht nur auf Lateinamerika, sondern betrifft Naturräume weltweit.

Lukas Keller
Regionalleiter Mittel-  und Südamerika

Lukas Keller ist Mitglied von Pro Vita Andina e.V., einem deutschen Verein für Entwicklungshilfe  in Peru und Ecuador. Pro Vita Andina e.V. hat, zusammen mit anderen in- und ausländischen  Nichtregierungsorganisationen, die Bemühungen der Sarayaku wiederholt finanziell unterstützt.