Vergangenheit bewältigen, ohne zu vergessen

Vergangenheit bewältigen, ohne zu vergessen

Prozesse des Erinnerns, der Aufarbeitung und vor allem der Versöhnung profitieren durch gesellschaftlichen Dialog. Dadurch können blinde Flecken in der Konstruktion historischer Wahrheit und auch Hemmnisse zwischenstaatlicher Kooperation durch die Last der Vergangenheit sichtbar werden. Um Feindbilder abzubauen, interzivilgesellschaftliche Kooperation zu stärken und wechselseitige Gedenk- und Versöhnungsarbeit durch gemeinschaftliche Projekte anzuregen, initiierte IFAIR e. V. das ambitionierte dreiteilige Projekt „Common Remembrance, Future Relations“ mit TeilnehmerInnen aus Armenien, Deutschland, Frankreich, Israel und der Türkei.

Unter Schirmherrschaft des Staatsministers für Europa im Auswärtigen Amt, Michael Roth, führte IFAIR e. V. ein Pilotprojekt zur Förderung des interkulturellen Dialogs im Bereich Erinnerungskultur und Vergangenheitsbewältigung mit zwanzig NGO-VertreterInnen aus Armenien, Deutschland, Frankreich, Israel und der Türkei durch. Primäres Ziel des Projekts war dabei, dass die TeilnehmerInnen eigene Kooperationsprojekte entwickeln und somit zur nachhaltigen Wirkung des Projektes beitragen. Nach einem erfolgreichen Auftaktworkshop im armenischen Eriwan im Mai sowie inspirierenden Hospitationsaufenthalten kamen die TeilnehmerInnen vom 7. bis zum 10. September zum dritten und letzten Treffen in Berlin zusammen.

Bei dem Auftaktworkshop in Eriwan hatten sich acht Teams für Kooperationsprojekte zusammengefunden. Über den Sommer absolvierten sie drei- bis fünftägige Hospitationen bei ihren ProjektpartnerInnen, um deren Arbeit kennenzulernen und ihre Projektideen zu konkretisieren. Ein israelischer Teilnehmer und seine deutsche Kollegin erzählen von ihrem Aufenthalt in Armenien: „Die Hospitationen waren maßgeblich für die Entwicklung unseres Projektes. So konnten wir unser Verständnis der armenischen und jüdisch/israelischen Geschichte und Kultur erweitern und unsere Projektidee realisierbar gestalten.“ Das Team plant, Jugendliche aus Armenien, Israel und der jüdischen Diaspora zusammenzubringen, damit diese voneinander über ihre jeweilige Vergangenheit lernen und Vorurteile abbauen können.

Die Hospitation war darüber hinaus auch für die persönliche Auseinandersetzung der TeilnehmerInnen mit Erinnerungskultur und Vergangenheitsbewältigung bedeutend. Ein deutscher Teilnehmer berichtet: „Das erste Mal in meinem Leben, dazu noch auf israelischem Boden, traf ich auf jemanden, der in mehreren Lagern interniert war und einen Todesmarsch überlebt hatte, der all das unvorstellbare Leid erfahren hat, von dem ich mir aus Büchern und Filmen nur eine schwache Ahnung hatte aneignen können.“ Mit seiner israelischen Projektpartnerin strebt er an, eine Gamification-Methode zu entwickeln, die Museumsbesuchern das Lernen über den Holocaust erleichtert.

Das Evaluationstreffen im September ermöglichte den TeilnehmerInnen abschließend, ihre Projektplanung vorzustellen, sich über die Herausforderungen internationaler Kooperationen auszutauschen und ihre Kenntnisse im Projektmanagement bei einem Fundraising-Workshop zu erweitern. Eine besondere Möglichkeit der Reflexion und Evaluation ihrer Projektarbeit bot sich den TeilnehmerInnen bei einem Treffen mit der Abteilung Kultur und Kommunikation des Auswärtigen Amts. Außerdem beinhaltete das knapp dreitägige Seminar einen Vortrag zur Erinnerungskultur in Deutschland und Frankreich sowie den Stadtspaziergang „Berlin als Erinnerungslandschaft“ von der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas für einen vertieften Einblick in die Erinnerungskultur Deutschlands.

Das Projekt „Common Remembrance, Future Relations“ hat den NGO-VertreterInnen somit eine Starthilfe für die Initiierung gemeinschaftlicher Projekte geboten und fand mit dem Treffen in Berlin seinen offiziellen Abschluss. IFAIR e. V. wird weiterhin in engem Kontakt mit den Projektteams stehen, um die Entwicklung der Projekte bis zu ihrer Durchführung ratgebend zu unterstützen.

 

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der November-Ausgabe des Diplomatischen Magazins.

© Titelbild: Joana Westphal