Nord Stream II – noch zeitgemäß?

Nord-Stream

Nord Stream II – noch zeitgemäß?

Ende 2011 manifestiert sich die Freundschaft des Altbundeskanzlers Gerhard Schröder mit dem Ministerpräsidenten Wladimir Putin in der 1224 Kilometer langen Nord Stream I Pipeline, über die Erdgas aus Russland in die EU importiert wird. Fünf Jahre später diskutiert die europäische Politik über das Zwillingsprojekt – Nord Stream II. Ginge es nach den Investoren Gazprom (50 Prozent Anteil), Uniper, OMV, Shell, Wintershall und ENGIE, könnten die Arbeiten nicht schnell genug beginnen – jedoch liegt zwischen Baubeginn und Eröffnung ein steiniger politischer Weg.

Die neue, 1200 Kilometer lange Pipeline wird, wie ihre Schwester, an der russischen Ostseeküste beginnen und soll in der Region Greifswald an das europäische Verteilernetz angeschlossen werden. Derzeitigen Investorenschätzungen zufolge wird sie über ein jährliches Volumen von 55 Milliarden Kubikmeter verfügen und somit in der Lage sein, 26 Millionen Haushalte mit Energie zu versorgen. Russisches Gas soll die Lücke der europäischen Versorgungssicherheit schließen, die nach Unternehmensangaben in Europa durch ein Absinken der eigenen Gasfördermengen und eine steigende Erdgasnachfrage entstehen wird.

Jedoch sind die Schätzungen des Konsortiums zu Nachfrage und Förderung von Erdgas enviin Europa bei näherer Betrachtung fragwürdig. Ein Bericht des Oxford Institute for Energy Studies aus dem Jahr 2014 sowie die Prognose der EU-Kommission über den Energieverbrauch bis 2050 lassen keine Rückschlüsse über eine Steigerung des EU-Verbrauchs zu. In einigen Szenarien sprechen diese sogar von einem Rückgang durch die Senkung der Energieintensität und den Ausbau im Bereich der erneuerbaren Energien. Auch das norwegische Ministerium für Öl und Energie sieht den prognostizierten Förderrückgang nicht so pessimistisch wie vom Nord-Stream-II-Konsortium dargestellt und setzt besonders auf zukünftig erschlossene Gasfelder. Jedoch geben Entwicklungen, wie zum Beispiel der Förderrückgang in einem der größten Gasfelder der EU in Groningen, Anlass zur Sorge.

Auch wenn Investoren und die Bundesregierung Nord Stream II stets als privatwirtschaftliche Unternehmung darstellen, wird der Ausbau des Pipelinesystems durchaus energie-, umwelt- und wettbewerbspolitische Konsequenzen haben. Unter den aktuellen Marktgegebenheiten können die veralteten und durch das schwierige ukrainisch-russische Verhältnis zunehmend unattraktiven ukrainischen Transportwege zwar nicht vollständig ersetzt werden, jedoch ist die Zukunft ohne ukrainischen Transit erkennbar – vor allem, wenn Kiew bei der Sanierung keine Hilfe zukommt und weitere Pipelines im südlichen Europa fertiggestellt werden. Der Ukraine könnten so jährlich mehrere Milliarden Euro Transiterträge entgehen, während mit rund 295 Milliarden Kubikmeter weit mehr Kapazität zum Import russischen Gases zur Verfügung stehen würde als überhaupt benötigt.

Ein weiteres Problem sieht EU-Kommissar Maroš Šefčovič im Untergraben der Ziele der Energieunion und verweist darauf, dass selbst die exklusiven Wirtschaftszonen der Mitgliedstaaten, in denen die Pipeline gebaut werden soll, kein rechtsfreier Raum sind. Šefčovič betont dies insbesondere mit Hinblick auf das Wettbewerbsverfahren, das die Kommission wegen Marktmachtmissbrauchs 2012 gegen Gazprom eröffnet hatte. Seiner Ansicht nach ist es fraglich, inwieweit sich die EU solchen Marktpraktiken weiterhin aussetzen möchte, und betont, dass europäisches Umweltrecht auf gar keinen Fall zu umgehen sei.

Der Artikel ist Bestandteil von IFAIR’s Kooperation mit dem Diplomatischen Magazin und erschien dort zuerst in der Ausgabe 08/2016.

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