Rolle rückwärts bei Reformen

Rolle rückwärts bei Reformen

In den Regioerungen der deutschsprachigen Länder – Österreich, Deutschland und Schweiz – geht der Reformwille zurück. Im jüngsten „Reformbarometer“ schlagen die Wirtschaftsinstitute Alarm.

Seit zehn Jahren beobachten die führenden Wirtschaftsinstitute in den DACH-Ländern (D steht für Deutschland, A für Österreich, CH für die Schweiz) den Reform-Elan der Regierungen in Berlin, Wien und Bern. Diese drei Länder sind ähnlich strukturiert und daher gut vergleichbar. Immer wieder wurden da und dort verlorene Jahre angemahnt. Doch diesmal gibt es eine bedenkliche Premiere: Im Jahre 2014 ging zum ersten Mal der Reformwille in allen drei Ländern zurück.

Im Vergleich zu anderen europäischen Staaten gelten Österreich, Deutschland und die Schweiz immer noch als gut aufgestellt. Dennoch mehren sich in allen drei Ländern die Signale, dass der Vorsprung verspielt wird. Alle drei Regierungen bekamen kein gutes Zeugnis, als die Chefs der Wirtschaftsinstitute vor kurzem in Berlin das „DACH-Reformbarometer 2014“ präsentierten. Überall heißt es: Tendenz fallend. So vermisst Prof. Dr. Michael Hüther, Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW Köln), den nötigen Elan der Bundesregierung für eine zukunftsweisende Politik. Dort, wo es weitreichende Beschlüsse (Mütterrente, Rente mit 63) gegeben habe, seien sie kontraproduktiv gewesen. Vereinzelte Reformfortschritte bei Bildung und Arbeitsmarkt änderten Hüther zufolge „nichts daran, dass von einem echten Reform-Elan in Deutschland nichts zu sehen ist“. Erschwerend komme hinzu, dass Deutschland seit Jahren von anderen europäischen Partnern genau solche Anstrengungen und ein höheres Reformtempo fordere, aber selbst sogar Rückschritte mache.

Recht drastisch schilderte der Leiter der Wirtschaftspolitik der Wirtschaftskammer Österreich Dr. Christoph Schneider: „Wir in Österreich befinden uns schon das vierte Jahr im Tal der Tränen“, und konnte sich den Zusatz nicht verkneifen: „Langsam gehen uns die Taschentücher aus.“ Die Republik habe einen großen Schritt zurück und nur kleine Schritte nach vorn gemacht und zudem den Wachstumsvorsprung gegenüber der EU und der Eurozone verloren, den sie jahrelang gehabt habe. Noch bedenklicher sei, dass die EU beim Wachstum weiter zulege, während die Wachstumsaussichten für Österreich nach unten revidiert würden. „Anstatt rigorose Strukturreformen in Angriff zu nehmen, drehte die Regierung auch 2014 wieder an der Steuerschraube.“ Österreich sei drauf und dran, Schweden als dem klassischen Hochsteuerland den Rang abzulaufen. Während in Österreich die Steuer- und Abgabenquote kontinuierlich anstieg, sei sie in Schweden sogar deutlich gesenkt worden. „Österreich braucht eine nationale Standortstrategie“, forderte Schneider. „Die bei der Steuerreform gemachte Ankündigung, nun weitere Reformen zügig angehen zu wollen, wird wohlwollend zur Kenntnis genommen, dem müssen aber jetzt Taten folgen.“

Auch der Analyst der Schweiz, Dr. Gerhard Schwarz, Direktor des Thinktanks Avenir Suisse, übte Kritik an seinem Land, das unter den drei deutschsprachigen Ländern bisher meist den Spitzenplatz eingenommen hat. „Der Sozialstaat wird zunehmend zum Luxusphänomen, weil wir glauben, ihn uns leisten zu können und zu müssen.“ Nicht auf der Ebene der Unternehmen, aber auf der Ebene der Politik sei die Schweiz sehr zufrieden, satt und selbstgenügsam geworden, weswegen der Reformwille stagniere. Die vor Kurzem erfolgte Freigabe des Franken könnte ein Wake-up-Call für mehr Reformdynamik werden. „Der hohe Frankenkurs könnte eine Produktivitätspeitsche für das ganze Land werden.“

Der Artikel ist Bestandteil von IFAIR’s Kooperation mit dem Diplomatischen Magazin und erschien zuerst dort in der Ausgabe 5/2015.

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© Titelbild: INSM schickt Rentenpaket der Bundesregierung zurück | INSM (flickr.com)