“Ich bin 132“- der Aufschwung einer neuen zivilen Bewegung

“Ich bin 132“- der Aufschwung einer neuen zivilen Bewegung

Drogenkrieg und Korruption sind die Schlagwörter, die man dieser Tage mit Mexiko in Verbindung bringt. Die mexikanische Politik ist selbst so sehr in die Drogenmafia verstrickt, dass die Bevölkerung machtlos der Gewalt und den Machenschaften ausgeliefert zu sein scheint. Doch nun, kurz vor den Präsidentschaftswahlen errichtet sich mit “Yo soy 132“ (“Ich bin 132“) eine neue zivile Bewegung, die sich gegen das korrupte politische System und seine Folgen richtet.

Die Medien feierten Enrique Peña Nieto schon als neuen Präsidenten. Alles schien darauf hinzudeuten, dass bei den mexikanischen Präsidentschaftswahlen am 1. Juli 2012 der Kandidat der institutionellen Partei der Revolution (PRI) das Rennen machen wird. Die Partei hatte -bis 2000- über 70 Jahre als Einheitspartei in politischer Hegemonie regiert und kam durch Veruntreuung und Korruption bei der Bevölkerung in Verruf. Zwei pausierte Amtszeiten später – seit 2000 regiert die Nationale Aktions-Partei- spricht die Partei von einem internen demokratischen Wandel und präsentierte mit dem Frauenschwarm Peña Nieto ihr sogenanntes neues Gesicht. Kostenaufwendige PR-Strategien und inszenierte Medienauftritte verdrängen die Tatsache, dass derzeit mehrere führende PRI-Mitglieder öffentlich in Verbindung mit den Drogenkartellen gebracht werden und gegen weitere Ermittlungen wegen Veruntreuung und Korruption laufen. Unter anderem ermittelt aktuell die US-amerikanische Drogenbekämpfungsbehörde DEA gegen den PRI-Ex-Gouverneur des mexikanischen Bundesstaates Tamaulipas, Tomás Yarrington, wegen Geldwäsche und Beziehungen zum Drogenmilieu. Die Medienstrategie schien aufzugehen, manipulierte Umfragewerte und einseitige Berichterstattung machten Peña Nieto zum neuen Polit-Superstar.

Doch dann kam es am 11. Mai zum öffentlichen Auftritt in der privaten Eliteuniversität Iberoamericana. Deren Studenten -überwiegend aus der wohlhabenden Oberschicht- galten bis dahin nicht als sonderlich kritisch und so galt der Auftritt als reine Routine. Zunächst hielt der Präsidentschaftskandidat einen Vortrag und stand danach zur Diskussion bereit. Doch schon während des Vortrages kam es zum stummen Protest, indem sich Studenten erhoben und dem Kandidaten den Rücken zuwandten. Zur Eskalation kam es jedoch erst, als Peña Nieto in der Diskussionsrunde zu den Repressionen in Atenco im Jahr 2006 Stellung nehmen sollte. Damals kam es bei einer Auseinandersetzung zwischen Aufständischen und Polizei zu mehreren Toten und Verletzten. Der damalige Gouverneur des Bundesstaates Mexiko, Peña Nieto, ordnete damals die brutale Zerschlagung der Proteste an, die von internationalen Menschenrechtsorganisationen verurteilt wurden.

Die Überheblichkeit, mit der der Präsidentschaftskandidat sein Eingreifen rechtfertigte, brachte die Studenten so in Rage, dass sie wütend aufsprangen und ihm wiederholt erbost „Mörder, raus!“ zuriefen. Es entwickelte sich eine derartige Dynamik, dass Peña Nieto und seine Berater beschlossen, die Veranstaltung vorzeitig abzubrechen und das Szenario zu verlassen. Doch die wütende Masse, die sich zunächst nur im Hörsaal gebildet hatte, breitete sich über die ganze Universität aus, so dass plötzlich alle Fluchtwege durch protestierende Studenten versperrt wurden. Um Zeit zu gewinnen, wurde der Präsidentschaftskandidat zunächst von seinen Bodyguards auf den Toiletten in Sicherheit gebracht. Die Masse aus Studenten ließen friedlich aber wütend Anti-Peña-Nieto-Parolen verlauten, bis ein Ausweg aus dem Universitätsgebäude gefunden wurde.

Am nächsten Tag berichteten nur wenige Zeitungen von dem Vorfall. Einige Medien berichteten jedoch mit manipulierten Fotos von einem erfolgreichen Besuch des PRI-Kandidaten in der Universität Iberoamericana. Peña Nieto selbst leugnete zunächst die Vorfälle und unterstellte dann den Studenten, einer Gegenpartei anzugehören und dass die Proteste parteipolitischen Ursprungs seien. Doch die Internetgemeinde war informiert und Fotos und Videos wurden auf Facebook und Youtube schnell zum Hit. Um gegen Verleumdung vorzugehen, stellten sich 131 Studenten der Universität öffentlich in einem Video, in dem sie ihren Namen und Matrikelnummer preisgaben und sich dazu bekannten, die Initiative aus eigenen Stücken und ohne parteilichen Hintergrund hervorgebracht zu haben. Das Video fand in den sozialen Netzwerken schnell Sympathisanten und die Internetgemeinde zeigte sich den Studenten gegenüber solidarisch. Immer mehr Menschen wurden sich der Manipulation durch die PRI und die ihr nahestehenden Medien bewusst und beschlossen, zu handeln. In Internetforen wurde zum allgemeinen Protest aufgerufen und die Bevölkerung begann sich zu formieren.

Als Peña Nieto kurz darauf eine Ansprache auf dem Hauptplatz von Cordoba, im Bundesstaat Veracruz hielt, gruppierten sich mehrere hundert Personen, um friedlich gegen den Kandidaten zu protestieren. Doch Schlägertrupps der Partei gingen radikal gegen die Demonstranten vor und die Polizei verhaftete mehrere Teilnehmer der Kundgebung. Auch bei den Ansprachen im Bundesstaat Coahuila setzte die dortige PRI-Regierung ihre Polizei und Schlägertrupps gegen die Demonstranten ein, mehrere Männer, Frauen und sogar Kinder wurden verletzt.

Über Twitter und andere Soziale Netzwerke wurde nach den Vorfällen zu einer mexikoweiten Anti-Peña-Nieto-Demonstration aufgerufen. Unter dem Motto “Ich bin 132“, angelehnt an die 131 Studenten der Iberoamericana, fanden am 19. Mai in 17 wichtigen mexikanischen Städten Kundgebungen statt. Alleine in Mexiko Stadt versammelten sich 47.000 Menschen, um gegen den PRI-Kandidaten zu demonstrieren. Beinahe täglich kommt es derzeit zu gößeren Kundgebungen, vor allem in den Städten, welche Peña Nieto gerade aufgrund seiner Kampagne besucht.

Die Präsidentschaftswahl hat damit eine ganz neue Wende erfahren. Obwohl der Anteil der Bevölkerung mit Internetzugang mit ca. 30 Prozent sehr niedrig ist und somit nur ein geringer Anteil an den Diskussionen in Internetforen teilhaben kann, zeigen die öffentlichen, friedlichen Auftritte der Demonstranten ihre Wirkung. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Situation in den nächsten Wochen entwickelt.

Julia Maier