Die Muslimbruderschaft in Ägypten – gefürchtete Islamisten oder konservative Kraft?

Die Muslimbruderschaft in Ägypten – gefürchtete Islamisten oder konservative Kraft?

Seit dem Beginn der Aufstände in Ägypten Anfang des Jahres 2011 sind nun mehr als eineinhalb Jahre vergangen. Hatte sich die Bundesregierung zu Beginn der Proteste und den sich abzeichnenden Umwälzungen noch schwer getan, eine eindeutige Position gegen das Regime zu beziehen, und in den islamistischen Akteuren eine Gefahr gesehen, so wandelte sich die Haltung insbesondere gegenüber den Muslimbrüdern. Heute scheint sich eine Art Konsens herauszubilden, dass es sich bei der Muslimbruderschaft und ihrer Freedom and Justice Party mehr um eine konservative Kraft denn um eine fundamentalistische Bedrohung handelt. Dieser Artikel wurde ebenfalls im Diplomatischen Magazin, Partner von IFAIR e.V., in der August-Ausgabe veröffentlicht.

In wissenschaftlichen Kreisen wurde die Rolle islamistischer Parteien im Nahen Osten schon länger differenzierter betrachtet als im öffentlichen Diskurs. Die deutsche Think Tank Landschaft beschäftigte sich bereits nach den Wahlerfolgen der Muslimbrüder im Jahr 2005 mit der Frage, inwiefern Islamisten die Rolle eines Reformakteurs in den autoritären Regimes der arabischen Welt spielen könnten. Die Einschätzungen hinsichtlich ihrer Fähigkeit, das bestehende System tatsächlich zu liberalisieren und zu reformieren, waren geteilt. Jedoch war man einhellig der Auffassung, dass eine Isolation der Islamisten kein Weg sei.

Trotz dieser Einschätzungen seitens der Wissenschaft blieb der westliche Blick auf die Bruderschaft stets skeptisch. Man vermied den offenen Dialog mit Islamisten und unterstützte den repressiven Kurs Mubaraks gegen die Ikhwan zumeist durch Wegsehen, stand er doch für Stabilität im Nahen Osten.

Allerdings wurde diese Form der offiziellen Distanz ergänzt durch die Vernetzung mit der Muslimbruderschaft über andere Kanäle. So berichteten mehrere Medien von langjährigen Kontakten zwischen den Büros verschiedener Parteistiftungen in Kairo und der Bruderschaft. Dies ist Ausdruck einer Gratwanderung, auf die sich die deutsche Politik gegenüber Islamisten einlassen musste: Einerseits wollte man einen sicheren Abstand wahren angesichts problematischer Positionen wie etwa der Israelfrage und ideologischer Unklarheiten, z.B. bei Themen wie Religionsfreiheit, Rechtsstaatlichkeit und tatsächlichem Willen zur Demokratie. Andererseits schien Pragmatismus vor dem Hintergrund geboten, dass die Bruderschaft einen umfassenden Rückhalt in der Bevölkerung genoss.

So fielen denn auch die Reaktionen auf die Arabische Revolution 2011 seitens der deutschen Politik zunächst verhalten aus. Dies wurde insbesondere daran deutlich, dass man dem Frieden und der Sicherheit in der Region den Primat einräumte. Deshalb setzte man zunächst darauf, dass ein Dialog zwischen dem Mubarak-Regime und der Protestbewegung eingeleitet werden sollte, auf Reformen statt Revolution also. Immer wieder wurde davor gewarnt, dass „religiöse Extremisten aus der gegenwärtigen Lage Kapital schlagen“ könnten, so Guido Westerwelle noch in einem Interview mit dem Mannheimer Morgen im Februar 2011.

Die Freedom and Justice Party trug die Prognosen noch übertreffend nicht nur eine überragende Mehrheit bei den – inzwischen revidierten – Parlamentswahlen davon; zudem gewann Mohamad Mursi die Präsidentschaftswahlen. Vor diesem Hintergrund hat sich auch der deutsche politische Diskurs gewandelt. Hatte 2011 lediglich Jürgen Trittin den Vergleich zwischen den Muslimbrüdern und der bayrischen CSU in einer Talkshow gewagt, so scheint sich die Sicht inzwischen zu verbreiten, dass es sich bei der Freedom and Jusitce Party um eine gemäßigte konservative Kraft handelt. Jüngst warnte Dirk Niebel davor, die Bruderschaft zu verteufeln, und verwies auf den christlichen Charakter der Parteien CDU und CSU. Bei dieser Gelegenheit betonte er auch, dass die Demokratisierungsprozesse im Nahen Osten nicht nach dem westlichen Muster verlaufen müssten. Sollte dies der Einsicht entsprechen, dass auch Formen der Demokratie kulturell variant sind, würde dies einen tatsächlichen Wandel des westlichen Blicks auf die Entwicklungen im Nahen Osten bedeuten: von einer belehrend-skeptischen hin zu einer beobachtend-offenen Perspektive.

Hanna Pfeifer
Regionalleiterin MENA und Vorstandsmitglied bei IFAIR e.V.