Hauptsache beschäftigt

Hauptsache beschäftigt

Europäische Politiker haben das Thema Jugendarbeitslosigkeit für sich entdeckt. Auf hektischen Aktionismus folgten nun konkrete Maßnahmen. Ob diese Jugendlichen tatsächlich helfen, ist jedoch fraglich – denn das Kernproblem der EU wird weiterhin ignoriert.

Dem Thema Jugendarbeitslosigkeit konnte man beim EU-Gipfel vorige Woche in Brüssel und auch bei der Plenarsitzung des Europäischen Parlaments diese Woche in Straßburg gar nicht aus dem Weg gehen. Ist dies aber überhaupt das richtige Thema, das eigentliche Problem? Hat man hier nicht nur einen temporären Brennpunkt erfunden? Und beim sogenannten „Familienfoto“ der Mächtigen musste ich eher an eine Familienkonferenz denken.

Die beängstigenden Zahlen, von denen die Medien in letzter Zeit unaufhörlich berichten, schätzen die Jugendarbeitslosigkeit in den Krisenländern oft auf bis zu 60 Prozent. Die Zahlen des europäischen Statistikamts Eurostat zeigen allerdings ein etwas ruhigeres Bild. Der niederländische Makroökonom Mathijs Bouman wies richtigerweise darauf hin, dass die statistischen Berechnungsmethoden deutlich unterschiedliche Zahlen ergeben können.

Dass die Jugendarbeitslosigkeit existiert und ihre Folgen gravierend sein werden, möchte ich natürlich nicht bestreiten. Aber: Die plötzliche, obsessive Fokussierung auf die Jugend im alternden Europa ist in meinen Augen panisch. Der verdächtig große Konsens bezüglich der Jugendarbeitslosigkeit scheint mir nur ein weiteres Beispiel des berüchtigten „Krisenmanagements“ zu sein.

Versprechen, die keine sind

So verspricht das Youth Guarantee Scheme jedem jungen Menschen bis zum Alter von 25 Jahren eine Beschäftigung innerhalb von vier Monaten, nachdem sie arbeitslos geworden sind. Was angesichts der aktuellen krisenbedingten Knappheit an Jobs mit „Beschäftigung“ genau gemeint ist, ist eine andere Frage. Das Versprechen einer „hochwertigen“ Ausbildung oder eines Praktikums ist kein richtiges Versprechen. Schon jetzt müssen viele junge Europäer jahrelang zwischen Praktika und Studentenjobs wechseln, ohne realistische Hoffnungen auf eine sozial gesicherte Stelle zu haben. Unsere prekäre Generation, die jetzt allzu plötzlich im Zentrum der Brüsseler Sorgen steht, hat bereits einen Spitznamen – wir sind lange schon die „Generation Praktikum“.

Die Institutionen haben sich auf sechs bis acht Milliarden Euro Hilfe geeinigt – angesichts des Problemausmaßes nur „ein Tropfen auf dem heißen Stein“, wie EU-Parlamentspräsident Martin Schulz findet. Auch im Verhältnis zu den Bail-Out-Paketen ist diese Summe verschwindend klein. Der Zukunft der Jugend wird offensichtlich eine monetär um mindestens zwei Ordnungsgrößen kleinere Bedeutung beigemessen.

“Wir helfen dir!”

Weitere Maßnahmen sollen nächste Woche in Berlin diskutiert werden. Ob die Situation der Jugend durch die neuen Initiativen deutlich verbessert werden kann, bleibt fraglich. Noch fraglicher ist es, ob diese „das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit und Handlungswilligkeit demokratischer Institutionen“ zurückgewinnen können. Das sinkende Vertrauen in „Europa“ ist ein Misstrauen den politischen Institutionen gegenüber, das berechtigte Zweifeln daran, ob diese überhaupt demokratisch und legitim sind. Von deren notwendiger, grundlegender und struktureller Demokratisierung ist allerdings noch keine Rede.

Ja, es muss u.a. in Zusammenarbeit mit der EZB dafür gesorgt werden, dass das „billige Geld“ nicht hauptsächlich für spekulative Investitionen der Großkonzerne auf Kosten des sozialen Zusammenhalts verwendet wird. Sondern dass stattdessen Prinzipien einer sozialbewussten Investitionspflicht herausgearbeitet werden, von der die mittel- und kleinunternehmerische Realwirtschaft profitieren kann – denn diese schafft Arbeitsplätze. Aber das allein reicht nicht. Noch immer werden vor allem die monetären und wirtschaftlichen Aspekte der EU betont. Man hätte allerdings schon lange das Ziel einer politischen Union entschiedener anpacken müssen.

Die Sorgen um die Jugend sind paternalistischer Natur. Die Position der Autorität, von der aus sie formuliert werden, ist jedoch gefährdet – und will vor allem die eigenen Fehler nicht anerkennen. Es klingt ein bisschen wie besorgter Argwohn den überall auftauchenden sozialen Bewegungen und Protesten gegenüber: „Du kannst keinen Job finden? Wir helfen dir! Hauptsache, du bleibst beschäftigt und gehst nicht auf die Straße, um dich diesen Chaoten anzuschließen.“

Daniel Tkatch
Daniel Tkatch ist studierter Physiker, Kunsthistoriker und Philosoph. Er wurde in Kasachstan geboren und wuchs in Israel auf und lebt heute in Berlin und Brüssel.

Der Beitrag wurde im Rahmen unserer Kooperation mit dem Online-Debattenmagazin “The European” veröffentlicht. Zur >> [Erstveröffentlichung] und zur entsprechenden >> [Debatte] bei “The European”.