Veranstaltungsbericht: Theorie trifft Praxis – Verhandeln auf dem internationalen Parkett

Veranstaltungsbericht: Theorie trifft Praxis – Verhandeln auf dem internationalen Parkett

Es ist unvermeidbar, dass auf dem internationalen Parkett konträre Positionen aufeinander treffen. Jedoch sind die Verhandlungspartner in der Regel wenigstens durch das Ziel eines gemeinsamen Verhandlungsabschlusses geeint – umso schwieriger wird eine Einigung, wenn ideologische Positionen gemeinsame Schnittmengen verhindern. IFAIR versuchte, Studierenden verschiedenster Fachrichtungen diesen entscheidenden Aspekt internationaler Beziehungen näherzubringen. Dazu luden wir zwei Experten auf dem Gebiet der internationalen Verhandlungsführung ein: Sebastian Litta (Stiftung Neue Verantwortung), geschult auf dem Gebiet der Analyse von Verhandlungsprozessen, und Agnieszka Walter-Drop (Direktorin in der Generaldirektion Externe Politikbereiche der Union), unter anderem führend an den Verhandlungen des polnischen Beitritts zur Europäischen Union beteiligt.

1. Theorie

Die Teilnehmer mussten sich in einem einführenden Planspiel zunächst damit auseinandersetzen, dass Verhandlungen prinzipiell unter dem Dilemma der Maximierung des Eigennutzes stehen. Ohne die Möglichkeit der Kommunikation und Vertrauensbildung unter den Verhandlungspartner schwebt das Motiv der “einseitigen Übervorteilung” über allen Absprachen, sind doch in der Regel Informationen asymmetrisch zwischen den Parteien verteilt. Nur Vertrauen ermöglicht es den Verhandlungspartnern, Strategien zu wählen, die auf Kooperation des Gegenübers bauen, so aber beiden Seiten einen insgesamt größeren Nutzen bieten. Dies ist der entscheidende Grund, weshalb in jeder Verhandlung der informelle Teil einen entscheidenden Rahmen einnimmt – oder anders ausgedrückt, warum Barack Obama Verhandlungen über die Lösung der Schuldenkrise mit seinem stärksten Widersacher beim Golfspielen führt. Neben einer positiven Atmosphäre ist ernsthaftes Zuhören und Nachfragen eine regelmäßig unterschätzte Chance, die Positionen und Einstellungen des Gegenübers ausfindig zu machen. Schließlich ist auch der Aspekt des Reputationsaufbaus beim Verhandeln nicht zu unterschätzen: Ein guter Ruf als “fairer Verhandlungspartner” strahlt weit über die aktuellen Verhandlungen und aktuell beteiligten Parteien aus.

Die Workshopteilnehmer hören konzentriert den Ausführungen zu.

Die Workshopteilnehmer bauten im Anschluss einen Leitfaden für das Herangehen an komplexe Verhandlungen auf. Dabei diente umfangreiches Material zu den Verhandlungen zwischen Bundesregierung und General Motors um die Opel- Rettung im Jahr 2009 als case-study. Wie bereitet man zB als Referent seinen Minister auf die Situation, Strategie und Partner vor? Beginnend mit einer klaren Definition der eigenen Ziele und Prioritäten über das Einholen zentraler Informationen über die Sachlage und die Verhandlungsparteien bis hin zur Entwicklung einer eigenen Verhandlungsstrategie erarbeiteten die Teilnehmer alle Schritte einer Verhandlungsvorbereitung.

2. Die Praxis

a) Planspiel

Die Schwierigkeit, diese Schritte dann auch tatsächlich in die Praxis umzusetzen, machte Herr Litta den Teilnehmern zunächst in einem kurzen Planspiel klar: In drei Gruppen aufgeteilt übernahmen sie die vordefinierten Rollen der Akteure in einem Großprojekt, inklusive ihrer Präferenzen und Interessen und verhandelten dann frei mit- und gegeneinander. Dies zeigte auch eines: Trotz gleicher Rollendefinitionen in den drei Gruppen waren die erzielten Ergebnisse sehr unterschiedlich. Die Komponente der Persönlichkeit und des Verhandlungsgeschicks ist nicht zu unterschätzen. Entscheidend war in allen Runden auch der Zeitdruck: Erst in den letzten Minuten wurden die entscheidenden Kompromisse getroffen.

b) Erfahrungen aus erster Hand

Im letzten Teil des Tages ging es an die politische Praxis: Frau Walter-Drop legte den Teilnehmern die Komplexität internationaler Verhandlungen am Beispiel des Beitritts Polens zur Europäischen Union dar. Gerade die Frage des Verhandlungsspielraums ist hierbei zentral: „You have to know your margins and what you can sell back to your own government.“ Unzählige miteinander verwobene Akteure an offiziellen Tischen und Hintertischen auf nationaler wie auch europäischer Ebene machen das Interessengeflecht unübersichtlich und verlangsamen so den Verhandlungsprozess.

Frau Walter-Drop legt den Teilnehmern das komplexe Geflecht der an EU-Verhandlungen beteiligten Akteure dar.

Dabei erschwert vor allem die Zahl der beteiligten Partikularinteressen Verhandlungen um große Maßnahmenpakete ungemein: So wurde der Abschluss eines der zentralen Kapitel der Beitrittsverhandlungen fast dadurch verhindert, dass sich ein großer internationaler Konzern Zugriff auf Ausschreibungen im polnischen Wirtschaftssektor sichern wollte. Das Lobbying bei der eigenen Regierung brachte den Verhandlungsprozess ins Stocken und beinahe zum Scheitern. Sind Partikularinteressen zudem untereinander verknüpft, vervielfältigt sich dieser Effekt: Eine weit verbreitete Besorgnis ob einer neuen, wettbewerbsfähigeren Konkurrenz aus Osteuropa unter vielen Speditionen Europas führte zu einem konzertierten Lobbyismus bei den jeweiligen Regierungen wie auch in Brüssel – mit dem Ergebnis von protektionistischen Maßnahmen des westeuropäischen Speditionssektors zum “Schutz” vor der neuen polnischen Konkurrenz.

Entscheidend ist in der praktischen Verhandlungsführung auch die Rezeptivität untergeordneter Akteure und die Schwerfälligkeit von Institutionen, gerade bei neuen Policy-Feldern: So war es etwa wesentlich unproblematischer, im Wirtschaftsbereich eine Angleichung der polnischen an die EU-Gesetzgebung durchzusetzen – dort war die polnische Verwaltung schon seit langem an die Inkorporation von internationalen Verhandlungsergebnissen gewöhnt.
In einem multinationalen Kontext wie den EU-Beitrittsverhandlungen sind nicht zuletzt Aspekte der Gleichbehandlung kritisch: Akteure in Polen fürchteten einen unverhältnismäßigen Erwerb von Grundbesitz durch EU-Bürger, vornehmlich Deutsche, in Gebieten des ehemaligen Ostpreußens. Sie beriefen sich daher auf eine bereits bestehende Beschränkung des Erwerbs von Grundbesitz durch EU-Bürger in Dänemark. Solche eine Sondersituation sei auch in Polen gegeben. Das Gewähren einer Ausnahme für Dänemark, was diese Beitrittsverhandlungen zum Erfolg geführt hatte, strahlte so auf die polnischen Verhandlungen aus. Nur eine langfristige Übergangslösung konnte eine Zerstückelung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in der EU verhindern.

3. Schluss

Es lässt sich sicherlich festhalten: Internationale Verhandlungen sind ein derart komplexes Feld, dass die Tatsache der Ergebnisfindung selbst oftmals überraschend scheint. Für das Erreichen des eigenen gewünschten Ergebnisses und das Verständnis des Ergebnisfindungsprozesses sind die oben genannten Aspekte zentral. Dem lässt sich eine weitere Schwierigkeit hinzuzufügen: Man weiß nie, wann eine Verhandlung tatsächlich endet. Dass verhandelte Pakete wieder aufgeschnürt werden, weil etwa wichtige Akteure nicht berücksichtigt wurden, ist keine Seltenheit. Nur eine Vertrauensbasis zwischen den Beteiligten erlaubt dann eine schnelle Lösung. Dieses Vertrauen kann nur langsam aufgebaut, jedoch schnell zerstört werden, wie die Teilnehmer in den Planspielen des Workshops selbst erfahren konnten: Auf Anschuldigungen, auf ungerechtfertigte Weise, etwa aggressiv zu reagieren, sorgt nur für weitere Eskalation und den Verlust von Glaubwürdigkeit. Allerdings muss bei einer rationalen Betrachtung eingesehen werden, dass ein konsensuales Ergebnis nicht immer möglich ist und in vielen Verhandlungen ein Trade-off zwischen einem harmonischen Ergebnis und der Exklusion einzelner radikaler Positionen bestehen mag.

Lukas Rudolph