Proteste in Venezuela – Die Trümpfe des Nicolás Maduro
Als im Februar dieses Jahres von einer Eskalation der Proteste gegen den venezolanischen Präsidenten Nicolás Maduro berichtet wurde, lag es nahe, Parallelen zu den Entwicklungen in der Ukraine zu ziehen. Wie zuvor in der Ukraine waren entscheidende Auslöser der Proteste in Venezuela die wachsende Unzufriedenheit mit einer korrumpierten Staatselite sowie enttäuschte Hoffnungen auf wirtschaftliche Prosperität und Entwicklung. Darüber hinaus drohte auch in Venezuela eine Spirale aus Gewalt und Gegengewalt zwischen Oppositionellen und Regierungsnahen politische Kompromisslösungen zu erschweren. Nachdem am 22. Februar der Sturz des Janukowytsch-Regimes in Kiew besiegelt war, fragte sich deshalb so mancher Beobachter, ob Maduro bald ein ähnliches Schicksal wie dessen ukrainischer Amtskollege ereilen würde.
Oberflächliche Vergleiche der ukrainischen und venezolanischen Proteste scheitern jedoch an der komplexen politischen Realität Venezuelas. Knapp drei Monate nach Ausbruch der Proteste gegen das Maduro-Regime im westlichen Bundesstaat Táchira scheint die Möglichkeit eines vorzeitigen Sturzes der Regierung in weite Ferne gerückt zu sein. Wie begründet sich die scheinbare Stabilität der venezolanischen Führung? Drei Faktoren spielen eine herausgehobene Rolle.
Anders als in der Ukraine erfährt die Protestbewegung in Venezuela keine deutliche klassenübergreifende Unterstützung innerhalb der Bevölkerung. Träger der Bewegung ist die traditionelle Wählerbasis des oppositionellen Mesa de la Unidad Democrática (MUD), die sich vor allem aus der venezolanischen Mittel- und Oberschicht zusammensetzt. Demgegenüber genießt die seit 2007 politisch dominierende Partido Socialista Unido de Venezuela (PSUV) besonders unter der ärmeren Bevölkerung treuen Zuspruch. Diese Unterstützung ist nicht nur ideologisch begründet. Viele Wähler der PSUV profitieren unmittelbar von den umfangreichen Wohlfahrtsprogrammen, die unter der Führung des im Vorjahr verstorbenen Hugo Chavez eingeführt worden sind. Die Sorge vor einem Verlust staatlicher Leistungen wie der Subventionierung von Nahrungsmitteln und Bildungsangeboten hält viele Venezolaner davon ab, der PSUV den Rücken zu kehren.
Präsident Maduro zehrt auch auf anderer Ebene vom politischen Erbe seines Vorgängers Hugo Chavez. Über Jahre kultivierte der Commandante eine robuste Führungskoalition aus Militäroffizieren, Nationalisten und Vertretern diverser radikaler Sozialbewegungen. Als persönlich von Chavez auserkorener Nachfolger im Präsidentenamt schafft es Maduro, die Ressourcen dieser Koalition für seinen Machterhalt zu nutzen. So konnte sich Maduro beispielsweise auf die aktive Unterstützung des Militärs bei der Zerschlagung der zurückliegenden Protestwellen verlassen und weitete im Gegenzug die finanziellen Mittel des Militärapparats schrittweise aus.
Neben diesen innenpolitischen Faktoren spielt schließlich auch die allgemeine internationale Zurückhaltung gegenüber den Geschehnissen in Venezuela in die Karten der Regierung Nicolás Maduros. Westliche Regierungen zeigten sich angesichts der gewalttätigen Auseinandersetzungen, die bisher 39 Todesopfer forderten, zwar besorgt. Außerordentliche Unterstützungsmaßnahmen für Oppositionsgruppen oder Sanktionen gegen Mitglieder der venezolanischen Regierung blieben bisher jedoch aus. Auf regionaler Ebene verhindern unter anderem die Regierungen Brasiliens, Argentiniens und Boliviens eine gemeinsame Positionierung eines lateinamerikanischen Staatenbündnisses gegen das harte Vorgehen Maduros im Verlauf der Proteste.
Vordergründig mögen die Protestdynamiken in der Ukraine und in Venezuela Parallelen aufweisen. Berücksichtigt man jedoch die spezifische Konstellation der Machtverhältnisse in Venezuela sowie die internationale Zurückhaltung gegenüber der repressiven Politik Nicolás Maduros, muss davon ausgegangen werden, dass ein zeitnaher, außerkonstitutioneller Sturz des venezolanischen Präsidenten unwahrscheinlich ist. Es bleibt die Hoffnung, dass die zurückliegenden Proteste den Druck auf die Führung des Landes erhöhen, nach Jahren des wirtschaftlichen und politischen Niedergangs endlich nachhaltige Reformen durchzusetzen.
Lukas Keller
Lukas Keller ist Regionalleiter Lateinamerika und Karibik bei IFAIR
Dieser Artikel wurde auch im Diplomatischen Magazin veröffentlicht (Mai 2014)