Inflationsgefahr als Folge geldpolitischer Strategien während und nach der Finanz- und Wirtschaftskrise von 2007 bis 2009

Inflationsgefahr als Folge geldpolitischer Strategien während und nach der Finanz- und Wirtschaftskrise von 2007 bis 2009

Inflation beschreibt eine Steigerung des Preisniveaus über dem zeitlichen Ablauf und führt somit zur Entwertung von Bargeldbeständen und Vermögen, da diese dann nicht mehr mit der gleichen Kaufkraft ausgestattet sind. Gerade in Zeiten der geldpolitischen Null-Zins-Strategie der Federal Reserve Bank oder vergleichbaren Vorgehensweisen anderer Zentralbanken ist die Frage berechtigt, wie sich die Preise für materielle  Produkte und Dienstleistungen mittelfristig entwickeln werden. Dieser Beitrag soll den theoretischen Rahmen zur Inflation abstecken und in den aktuellen Kontext der Nachkrisenzeit einpflegen.

1.   Einleitung

Die globale Finanz- und Wirtschaftskrise, die 2007 auf dem US-Immobilienmarkt begann und in der Pleite von Lehman Brothers im Herbst 2008 gipfelte, zog die Volkswirtschaften der ganzen Welt in die tiefste Rezession seit über 70 Jahren. Die großen Notenbanken, allen voran die amerikanische Federal Reserve Bank (Fed), versuchten das negative Wirtschaftswachstum durch die Bereitstellung von billigem – teilweise kostenlosem – Zentralbankgeld zu bekämpfen. Nun sieht sich die Weltwirtschaft mittel- bis langfristig einer folgerichtigen Gefahr ausgesetzt: Die in dieser Zeit noch moderaten Teuerungsraten könnten schon bald in eine massive Vermögensvernichtung münden, wenn die Zentralbanken sich nicht auf ihre eigentliche Kernaufgabe – die Stabilisierung des Preisniveaus – besinnen. Zahlen von Bloomberg zufolge haben sich in vielen Ländern (Russland, Großbritannien, USA, China und dem Euroraum) bereits Stand Juni 2011 negative Realzinsen (hier: Einlagenzins minus Inflation) von bis zu -5,7% eingestellt[1].

Zu den determinierenden Einflussfaktoren auf die Inflation gehören neben einer hohen zu Verfügung stehenden Geldmenge im Vergleich zur Gütermenge und einer guten konjunkturellen Situation ebenfalls die Entwicklung der Produktivität, die Erwartungswerte für die Inflation sowie eine hohe Staatsverschuldung. Letzteres nicht zuletzt, weil Staaten mit der Inflation ein Instrument an der Hand haben, um sich relativ unbemerkt zu entschulden. Und es war deutlich zu sehen wie eng die prinzipiell unabhängigen und nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen agierenden Zentralbanken während der Krise an die Politik gerückt sind.

2.   Generelle Einflussfaktoren und Erklärungen zur Inflation

a)     Phillips-Kurve

Die ursprüngliche Phillips-Kurve beschreibt einen empirisch gefundenen Zusammenhang zwischen der Arbeitslosigkeit und den Entwicklungen der Nominallöhne. Demnach führte eine schlechte Arbeitsmarktlage in den Fünfzigerjahren zu schwachen Erhöhungen der nominalen Löhne.  Dieser Zusammenhang wurde über die Zeit präzisiert und erweitert. Auf die tariflichen Verhandlungen wirken nach heutigem Dafürhalten vor allem die Arbeitsmarktlage sowie das Niveau der erwarteten Inflation ein.

Hohe Arbeitslosenzahlen versetzen die Gewerkschaften in eine schlechte Verhandlungsposition und führen zu mageren Tarifrunden aus Arbeitnehmersicht. Im Umkehrschluss sehen sich die Gewerkschaften gestärkt, wenn ihr Gut – die Arbeitskräfte – auf den Märkten gefragt ist. Eine hohe Nachfrage führt zu steigenden Preisen, in diesem Fall Löhnen.  Eine hohe erwartete Inflation führt bei den Gewerkschaften zu aggressiverem Auftreten und zu höheren Tarifabschlüssen[2].

Der Brückenschlag zur Inflation ist gegeben, wenn angenommen werden kann, dass die Unternehmen ihre Preiskalkulation zu einem signifikanten Maße an den zu zahlenden Löhnen und ihrer eigenen Produktivitätsentwicklung anlehnen. Sieht sich ein Unternehmen im Stande – durch beispielsweise neue Produktionstechnologie – die Produktivität zu steigern, so können höhere Lohnzahlungen eventuell sogar überkompensiert und über Preissenkungen Wettbewerbsvorteile erkämpft werden.

Wird die Arbeitslosigkeit als konjunkturelle (keynesianische) Arbeitslosigkeit aufgefasst – im Gegensatz zur klassischen Arbeitslosigkeit, die aufgrund fehlender Preisflexibilität auftritt und somit den Markt daran hindert die Löhne derart zu senken, dass sich ein Marktgleichgewicht einstellen kann – kann diese durch die gesamtwirtschaftliche Output-Lücke (vereinfacht: aktueller Output minus Output bei Vollbeschäftigung) dargestellt werden. Dann ist ein Zusammenhang geschaffen zwischen der gesamtwirtschaftlichen Produktion an Gütern und Dienstleistungen und der Inflationsrate[3].

b)     Gesamtwirtschaftliche Nachfrage

Die gesamtwirtschaftliche Nachfrage kann vereinfacht dargestellt werden über den Konsum und die getätigten Investitionen die während einer gewissen Zeitspanne zu verzeichnen sind. Dem Modell nach hängt der Konsum der Haushalte maßgeblich vom volkswirtschaftlichen Einkommen ab. Dies ist aber gleichzusetzen mit dem gesamtwirtschaftlichen Angebot, da die erwirtschafteten Umsätze als Einkommen für Arbeitnehmer und Kapitalbesitzer dienen. Im marktwirtschaftlichen Gleichgewicht ist dies gleich der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage (es wird hierbei vereinfachend angenommen, dass die Unternehmen ihre Produktion maßgeblich an den zu erwartenden Umsatzpotenzialen der Märkte ausrichten und mit ihren Prognosen richtig liegen). Es wird davon ausgegangen,  dass die Haushalte einen gewissen Anteil ihrer Einkommen für zusätzlichen Konsum ausgeben, also neben einem obligatorischen Anteil am Konsum (Lebenserhaltung).

Die Investitionen werden entscheidend von den Realzinsen (um die Inflation bereinigte Nominalzinsen) bestimmt. Je geringer die Zentralbank diese werden lässt, desto stärker ist der Investitionsdruck, da Sparen unattraktiv wird und Kapital günstig zu bekommen ist. Es wird also davon ausgegangen, dass zu Beginn des Betrachtungszeitraumes die Privatwirtschaft und die Notenbank einen Inflationswert erwarten, auf Grundlage dessen dann -mit den Nominalzinsen, die letztlich von der Zentralbank über deren Zinsinstrumente gesteuert werden- die Realzinsen ausgerechnet werden können.

Werden nun die Konsum und Investitionen zur gesamtwirtschaftlichen Nachfrage vereint, so kann der sich im Gleichgewicht ergebende Output mit dem Output bei Vollbeschäftigung abgeglichen werden. Die sich ergebende Differenz wird dann mit der erwarteten Inflation in die sich bei dieser Konstellation im Modell ergebende, tatsächliche Inflation überführt. Es ist anzumerken, dass die Inflation bei diesem Modell gerade dann der erwarteten Inflation entspricht, wenn die Output-Lücke verschwindet und somit Vollbeschäftigung herrscht[4].

c)      Warum sich die Europäische Zentralbank (EZB) kein Inflationsziel von null steckt

Die Zentralbank könnte mit einer erwarteten Inflation von null Prozent und einer passenden Zinspolitik diesem Modell nach tatsächlich ein stabiles Preisniveau halten, allerdings gibt es einige Faktoren die es in der Wirklichkeit schwer machen dies umzusetzen.

Zum einen gibt es einen Konsens darüber, dass die statistisch ermittelte Teuerungsrate den tatsächlichen Anstieg des Preisniveaus zu drastisch darstellt. Beispielsweise sind in der Statistik Neuprodukte oder signifikante Qualitätssteigerungen bei bestehenden Produkten – die einen Preisanstieg rechtfertigen würden – schwer erfassbar.

Außerdem findet die statistische Erfassung der Verbraucherpreise unter relativ trägen Rahmenbedingungen statt. Einem geänderten Verbraucherverhalten – und somit auch geänderten Lebenshaltungskosten –   wird nur unzureichend Rechnung getragen.

Und letztlich führt eine positive Inflationsrate bei gleichem Realzinsniveau dazu, dass die Nominalzinsen höher liegen müssen als bei einer Teuerungsrate von null Prozent. Dann kann die Zentralbank aber im Falle einer konjunkturellen Marktschwäche mit ihrer Zins- und Geldpolitik in einem weiteren Rahmen agieren[5].

3.   Aktuelle Situation und Ausblick

a)     Geldmenge

Die lockere Geldpolitik während und nach der Krise hat zu großen Liquiditätszuwächsen auf den Finanzmärkten geführt. Die Notenbank der USA (Fed) beispielsweise hat als Reaktion der Krise ihren Leitzins (Federal Funds Rate) von  5,25% auf 0-0,25% gesenkt[6]. Außerdem kaufte sie Wertpapiere auf den Märkten für fast 2000 Milliarden US-Dollar, um Staat und Unternehmen mit Geld zu versorgen und gleichsam die Kurse stabil und die Zinsen moderat zu halten. Auch die europäischen Notenbanken – vornehmlich die Zentralbank Großbritanniens und die EZB – haben mit niedrigen Zinsen die monetären Basen (Bargeld und Sichteinlagen der Geschäftsbanken bei der Zentralbank und somit ein Maß für das in Umlauf gebrachte Geld) stark anwachsen lassen.

Allerdings hat Möglichkeit des kostengünstigen Kapitals die Kreditvergabe und damit die für die gesamtwirtschaftliche Nachfrage wichtigen Investitionen wider die Erwartungen nur moderat stimulieren können. So ist zu beobachten, dass ein großer Anteil des günstigen Kapitals in die Finanzwirtschaft als spekulative Rohstoffinvestments geflossen ist, anstatt in der Realwirtschaft für Wachstum zu sorgen[7].

b)     Teure Rohstoffe

Die eben genannten spekulativen Investments im Rohstoffsektor haben dort die Preise getrieben. So sind die Preise für Zucker, Fette und Getreide von Mitte 2010 bis Anfang 2011 um bis zu 77% in die Höhe geschnellt[8].  Das führte aber unweigerlich zu einer Verteuerung der Halbzeuge, Zwischenprodukte und Komponenten. Beispielsweise Kartonagen stiegen im Preis um 40% im Jahr 2010.

Auch der Ölpreis hat sich seit Anfang 2009 von 40 $ je Barrel auf knapp unter 100 $ etwa um 150% verteuert. Das treibt vor allem die Energiepreise, die einen großen Einfluss auf die Inflationsrate nehmen. Naturkatastrophen wie die verheerende Flut in Australien heizen den Preisanstieg zusätzlich an.

c)      Inflationen in Fernost

Ein weiterer Inflationstreiber für Europa und Amerika können die bereits massiv vorangeschrittenen Teuerungsraten in asiatischen Ländern werden. Derzeit kämpfen Länder wie Indien, Indonesien oder China mit Inflationsraten von 5-9%. Eine Determinante hierfür waren die in den letzten Jahren stark wachsenden Kapitalzuflüsse aus dem Ausland, die in den jeweiligen Ländern investiert wurden. Der hierfür nötige Währungswechsel führte zu einer hohen Nachfrage nach den inländischen Währungen und somit zu einem Preisanstieg der Devisen. Aus Sorge um die Potenziale des Exportgeschäftes reagierten viele Notenbanken mit einer Vergrößerung des Angebotes der eigenen Währung, um steigenden Wechselkursen zuvorzukommen. Sie verkauften also die eigene Währung massiv gegen Dollar und blähten damit die heimischen Geldmengen auf, was sich nun in Form von starken Inflationsraten zeigt.

Für die amerikanischen und europäischen Volkswirtschaften wird dies zum Problem, da viele Unternehmen Komponenten und Zukaufteile aus dem asiatischen Raum beziehen. Diese zuvor preisgünstigen Produkte verteuern sich nun und treiben ihrerseits die hiesigen Preise[9].

d)     Weitere Einflussnehmer und Zusammenfassung

Die zum Teil wenig erfolgreiche Geldpolitik der USA hat zu einem massiven Geldmengenwachstum geführt. Bereits Milton Friedman stellte mit Studien zur Geldgeschichte einen klaren Zusammenhang von Geldmengenwachstum, Gütermengenwachstum und Inflation her[10]. Dass die Inflation eng verknüpft ist mit dem Anstieg der Geldmenge belegen auch empirische Validierungen von Czudaj[11], die eine gute Relation von geldmengenbasierten Prognoseverfahren zur tatsächlichen Inflationsentwicklung von 1995 bis 2010 zeigen.

Zhang und Zhang stellen über simulative Untersuchungen die Gefahren einer  globalen Inflation dar, die von der aktuellen Geldpolitik ausgelöst wird, falls die zukünftigen Output- und Wachstumspotenziale überschätzt werden[12].

Gerade in Krisenzeiten ist die geldpolitische Strategie der Zentralbanken von entscheidender Bedeutung.  Die von der EZB verfolgte Strategie des Inflation Targeting (das Ausrichten der Geldpolitik an einem vorgegebenen Zielwert für die Inflation, hier 2%) gilt als förderlich, da die Politik vielerorts – insbesondere in Zeiten finanzmarktwirtschaftlicher Verwerfungen – opportunistisch reagiert und das längerfristig ausgerichtete Ziel stabiler Preise über die Zinspolitik gegen die kurzfristige Stabilisierung am Arbeitsmarkt eintauscht. Dies geht leichter, je größer die Unsicherheit bzgl. der Erwartungswerte für die Teuerungsraten ist. Somit führt eine stärkere Schwankungsbreite der erwarteten Werte zu einer durchschnittlich höher liegenden Inflationsrate[13]. Bestätigt wurde dies von Alba et al. durch simulative Untersuchungen verschiedener geldpolitischer Strategien. Demnach können Inflationsraten nach negativen Nachfrageschocks (wie beispielsweise in der Krise eingetretene Umsatzeinbrüche) mittels dieser Strategie am besten moderat gehalten werden[14].

Die EZB scheint mit ihrer Geldpolitik in puncto Preisstabilität auf einem vernünftigen Weg zu sein, nicht zuletzt wegen der zweifachen Anhebung des Leitzinses auf nunmehr 1,5%. Trotzdem wird dies wohl nicht ausreichen um das Inflationsziel von 2% mittelfristig halten zu können. Ökonomen der Deutschen Bank rechnen mittelfristig mir einem Inflationsniveau von fünf Prozent[15].

Benjamin Kuch

Bibliografie

Bloomberg. Was Zinsanlegern nach Abzug der Inflation noch bleibt. Wirtschaftswoche. 2011, 25.

Bofinger, Peter. Grundzüge der Volkswirtschaftslehre. Würzburg : Pearson Studium, 2010.

Schilbe, Stefan. Das Fed-Dilemma. Wirtschaftswoche. 2011, 29.

Fischer, Malte et al. Geld jagt Güter. Wirtschaftswoche. 2011, 4.

Czudaj, Robert  P-star in times of crisis – Forecasting inflation for the euro area. Economic Systems. 2011, in Press.

Zhang, Zhiwei und Zhang, Wenlang. The road to recovery: Fiscal stimulus, financial sector rehabilitation, and potential risks ahead. Journal of Asian Economics. 2011, Volume 22, Issue 4, Pages 311-321.

Karunaratne, Neil und Bhar, Ramprasad. Regime-shifts and post-float inflation dynamics of Australia . Economic Modelling 2011. Volume 28, Issue 4, Pages 1941-1949.

Alba,  Joseph et al. Foreign output shocks, monetary rules and macroeconomic volatilities in small open economies. International Review of Economics & Finance. 2011, Volume 20, Issue 1, Pages 71-81.


[1] Bloomberg 2011

[2] Bofinger 2010

[3] Ibid.

[4] Ibid.

[5] Ibid.

[6] Schilbe 2011

[7] Fischer 2011

[8] Ibid.

[9] Ibid.

[10] Ibid.

[11] Czudaj 2011

[12] Zhang und Zhang 2011

[13] Karunaratne und Bhar 2011

[14] Alba 2011

[15] Fischer 2011