Geopolitisches Konfliktpotential in der Arktis – Zwischen medialer Inszenierung und Wirklichkeit
Schlagzeilen wie „Arktisches Monopoly“ oder „Kampf um die Arktis“ findet man nicht selten, seit Russland 2007 symbolisch seine Flagge auf dem Meeresgrund am Nordpol gehisst hat. Fortan rückte die Arktis geopolitisch, aber vor allem auch in der medialen Welt stärker in den Vordergrund.
Durch den Klimawandel und dem damit verbundenen Zugang zu neuen Ressourcen und Schifffahrtsrouten flammten Gebietsansprüche und -streitigkeiten wieder auf. Die Anrainerstaaten können zwar auf multiple Governance-Strukturen zurückgreifen und Streitfälle mittels eines Geflechts aus völkerrechtlichen Verträgen, Konventionen und bilateralen Abkommen klären. Dennoch lassen sich drei rechtliche Graubereiche erkennen, die Konfliktpotential bergen.
Erstens existieren noch einige wenige offene Seegrenzen zwischen Anrainerstaaten, so zum Beispiel zwischen Kanada und den USA oder zwischen Kanada und Grönland/Dänemark. Zweitens bestehen durch die neuerliche Nutzung der nordischen Seewege schifffahrtrechtliche Streitfragen. Drittens beantragten mehrere Anrainerstaaten in den letzten Jahren eine Erweiterung ihrer ausschließlichen Wirtschaftszonen bei der Festlandsockelkommission der Vereinten Nationen (VN), um sich Nutzungsrechte für Schifffahrt und Ressourcenabbau zu sichern. Diese Ansprüche sind teilweise überlappend und bergen daher Streitpotenzial.
Trotz dieser Konfliktlinien lässt sich das tatsächliche politische Verhalten der Anrainerstaaten bisher nicht als konfrontativ oder gar aggressiv beschreiben. Im Gegenteil: Norwegen und Russland konnten beispielsweise im September 2010 hinsichtlich ihres Streitfalls in der Barentssee einen Einigungsvertrag unterzeichnen. Schifffahrtsrechtliche Fragen werden nach Experteneinschätzung wohl auch problemlos gelöst werden, da alle Parteien mittelfristig von den Routen profitieren würden.. Auch die sich überlappenden Gebietsansprüche sind teilweise so utopisch, dass nicht zu erwarten ist, dass ihnen seitens der VN stattgegeben wird. So wurde das Gesuch Russlands, seinen Festlandsockel und damit seine Wirtschaftszone bis zum Nordpol zu erweitern, mangels hinreichender geologischer Beweislage zurückgewiesen – verbunden mit der Aufforderung einen realistischeren Antrag einzureichen.
Militärisch sehen wir in der Arktis seit jeher ein Spannungsverhältnis zwischen high politics und low politics: Zu Zeiten des Kalten Krieges offenbarte sich das Wettrüsten der Großmächte in der Arktis besonders stark. Es wurde eine Vielzahl an Kernwaffen in der Region stationiert sowie getestet. Darüber hinaus wurden Militärstützpunkte etabliert.
Zu Beginn der 1990er Jahre war schließlich ein Schwenk hin zu low politics zu beobachten. Der Fokus wurde nun stärker auf die Zivilgesellschaft und auf die Belange der arktischen Völker gesetzt.
Durch den Klimawandel und den bereits erwähnten Zugang zu neuen wirtschaftlichen Ressourcen scheinen alte Rivalitäten zwischen den Anrainerstaaten wiederzukehren und high politics wieder stärker in den Vordergrund zu treten. Dem Hissen der russischen Flagge 2007 wird dabei ein symbolischer, machtpolitischer Wert zugeschrieben.
Festzuhalten ist dennoch: Weder die bisherige russische Politikpraxis, noch das Verhalten der anderen Anrainerstaaten lassen gegenwärtig darauf schließen, dass es in Zukunft zu einer militärischen Auseinandersetzung kommen wird, sondern eher mediale Inszenierungsschlachten ausgetragen werden.
Susanne Schwarz
Susanne Schwarz studiert Politikwissenschaft in Berlin und nahm von 2010 bis 2011 am Studienkolleg zu Berlin teil. Im Rahmen des Kollegjahres wirkte sie in der Arbeitsgruppe „Die Arktis im Klimawandel. Europas Norden – Vergessene Region oder Drehscheibe für Veränderungen?“ mit. Der Artikel resümiert Ausschnitte dieser Projektarbeit.
Dieser Artikel erscheint auch auf dem Blog „Zivile Krisenprävention – Umwelt und Ressourcen“ (www.blog.krium.de), herausgegeben von adelphi.