Eine konsolidierte Demokratie in Thailand?

Eine konsolidierte Demokratie in Thailand?

Der Besuch von Premierministerin Yingluck Shinawatra in Deutschland wirft ein Schlaglicht auf die Entwicklung der Demokratie in Thailand – trotz oder gerade ob unzähliger Putsche ist das Land tief gespalten zwischen sich gegenüberstehenden Lagern und befindet sich auf dem Weg in eine unsichere Zukunft.

1. Einleitung

Mit einseitigen Anzeigen – unter anderem in der gestrigen Frankfurter Allgemeinen Zeitung – bewarb die Premierministerin des Königreichs Thailand, Yingluck Shinawatra, die in über 150 Jahren diplomatischen Beziehungen gewachsene Verbindung zwischen Thailand und der Bundesrepublik, inklusive dem gemeinsamen Streben nach Demokratie. Doch wie steht es um die Demokratie in ihrer Heimat, gerade da dort gleichzeitig eine akute Verfassungskrise bewältigt werden muss?

Der Weg zur Demokratie in Thailand seit der Abschaffung der absoluten Monarchie 1932 ist lang und steinig – und noch nicht abgeschlossen: Unzählige Militärputsche und Verfassungsänderungen markieren diesen Pfad.  Nach einer Phase bürokratisch-autoritärer Regierungen in den 70ern-80ern folgte eine Phase demokratischer Stabilisierung. Höhepunkt war die 1997 – forciert durch die Asienkrise – verabschiedete reformorientierte und demokratische Verfassung, die Hoffnungen auf eine weitere Konsolidierung weckte – unter anderem wurden darin die zivilgesellschaftliche Mitbestimmung erstmals als explizites Recht der thailändischen Bürger postuliert. Doch es ist keine sechs Jahre her, dass die thailändische Armee die Regierung Thaksin Shinawatras aus dem Amt und ihn selbst in das Exil putschte. Allein die Tatsache, dass dies der elfte erfolgreiche Putsch unter der über 60-jährigen Regentschaft des gegenwärtigen Königs Bhumibol und ein weiterer gegen einen gewählten Regierungschef war, zeigt die Fragilität des thailändischen politischen Systems. Die formelle Rückkehr zur Demokratie bereits ein knappes Jahr später unter einer neuen Verfassung – zwar mit einer gestärkten Rolle des Militärs aber ebenso vielen liberalen Grundrechten der 1997er Verfassung – ist jedenfalls ein positives Zeichen, ebenso wie der seit dem stattgefundene Übergang der Regierungsmacht an die Opposition.

Mit Yingluck Shinawatra ist so gegenwärtig eine Schwester Thaksins im Amt, mit einem breiten Mandat aus der Wählerschicht: 265 von 500 Mandaten fielen in den Wahlen 2011 an ihre „Pheu Thai“-Partei, eine inoffizielle Nachfolgeorganisation der mit dem Putsch verbotenen Thaksin-Partei. Dies ändert jedoch nichts daran, dass die thailändische Demokratie vor denselben strukturellen Herausforderungen steht wie vor sechs Jahren. Die Premierministerin ist dabei in der schwierigen Rolle, die politische Opposition wie das Militär zu beschwichtigen und gleichzeitig die Versprechungen an ihre Wähler einzulösen.

2.      Die Spaltung des Landes und Herausforderungen an eine weitere Demokratisierung

a)     Die politische Dichotomisierung der Akteure

Die gegenwärtige Entwicklung der thailändischen Demokratie ist unsicher – fortwährend wird über eine formelle Rückkehr Thaksins an die thailändische Regierung spekuliert, mit unabsehbaren Folgen, was ein erneutes Eingreifen des thailändischen Militärs betrifft. Grundlage dieser Spannungen ist ein unscharfer Vierklang aus den Akteuren „Gelbhemden“, „Rothemden“, Militär und Königshaus, mit nicht immer klaren Allianzen.

„Rothemden“, organisiert in der Gruppierung „United Front for Democracy Against Dictatorship (UDD)“, bezeichnen die Anhänger der ländlichen Bevölkerung im Norden und Nordosten des Landes, in ihrer Mehrzahl ärmeren Bevölkerungsschichten zuzuordnen, die vom ökonomischen Aufschwung Thailands bislang kaum profitieren konnten und lange in patriarchalischen Abhängigkeitsverhältnissen lebten. Dem Erstarken dieser Gruppe liegt ein tiefgreifender Wandel der soziodemographischen Verhältnisse des Landes zugrunde – die ländliche Bevölkerung fordert vermehrt ihre wachsenden Ansprüche ein und ist sowohl durch den verstärkten Zugang zu Medien wie größere Mobilität zunehmend politisiert wie auch durch die Verfassung von 1997 dazu politisch ermächtigt. Thaksin, ebenso wie seiner Schwester, gelang es erstmals diese Gruppe als potenzielle Wählerschicht anzusprechen und zu mobilisieren, damit aber auch eine tiefgreifende Cleavages des Landes sichtbar zu machen. Inzwischen sind sie eine zentrale Wählergruppierung mit eigener Dynamik – so bilden sich derzeit „Red Shirt Villages“, hunderte von Dörfern insbesondere im Norden und Nordosten des Landes die sich öffentlich geschlossen zur Thaksin-Bewegung bekennen und in sich homogene Einheiten bilden wollen.

„Gelbhemden“ bezeichnen die Gegner der Shinawatra-Regierungen, organisiert in der „People’s Alliance for Democracy (PAD)“. Sie tragen die lange Zeit mit der Monarchie assozierte Farbe gelb, speisen sich aus Unterstützern und Angehörigen der städtischen, gebildeten Mittelschicht und national-konservativen Kräften. Die – aus ihrer Sichtweise – selbstbereichernde und populistische Politik der Thaksin-Regierung verwandelte sie in Skeptiker der Demokratie und Befürworter eines militärischen Eingreifens. Dies ist in gewisser Weise überraschend, ist die Mittelklasse in Südostasien doch regelmäßig mit reformistischen Kräften verbunden.

Während den Rothemden die Regierende Pheu Thai Partei nahesteht, unterstützen die Geldhemden die stärkste Oppositionspartei, die Democrat Party unter dem letzten Premierminister Abhisit Vejjajiva.

Das Königshaus erfüllt in diesem Spannungsfeld eine ambivalente Rolle – einerseits ist es eine das Land einende, offiziell über den Parteien stehende und dabei die Demokratie verteidigende Institutionen. Andererseits ist ein Königshaus per se eine anti-demokratische Einrichtung und es verteidigt seine starke Rolle als außerpolitische, damit aber auch unkontrollierte Instanz. Politisch wird es zudem als den Gelbhemden nahestehend eingeschätzt, nicht zuletzt durch die implizite Unterstützung des Putsches gegen Thaksin. Darüber hinaus ist die Rolle der Monarchie stark auf die Person des gegenwärtigen Königs Bhumibol festgelegt – wie die Situation sich unter dem Kronprinzen Maha Vajiralongkorn entwickeln wird ist unklar, es ist somit ein potenziell destabilisierender Faktor.

Die enge Verbindung zwischen dem im Land beliebten Königshaus und dem wirtschaftlich und politisch mächtigen Militär in den letzten Jahrzehnten wurde durch den letzten Putsch deutlich: Ausgelöst wurde dieser letztlich dadurch, dass Thaksin seine eigenen Vertrauensleute in Schlüsselpositionen in Militär und Kronrat platzieren wollte. Der Einfluss des Militärs auf die Politik ist ein Stolperstein auf dem Weg zu einer weiteren Demokratisierung. Dies bezieht auch die Strategie des Militärs mit ein, im wirtschaftlichen Bereich eine zentrale Rolle zu spielen – über den Besitz von Infrastruktur, Wohnraum und allgemeiner Geschäftstätigkeit wie eigenen Fernsehkanäle oder Radiostationen wirkt es aktiv an der öffentlichen Meinungsbildung mit.

Es stellt sich die Frage ob Thailand bei solchen sozialen Spannungen und extremer Polarisierung langfristig regierbar bleiben kann und insbesondere ob eine Phase friedlicher Regierungswechsel auch zwischen den opponierenden Kräften möglich wird. Problematisch ist dies insbesondere mit Bezug auf die Weiterentwicklung der Qualität der thailändischen Demokratie.

b)     Lese Majeste

Probleme der Qualität der demokratischen Entwicklung werden an aktuellen Beispielen deutlich.

§ 112 des Strafgesetzbuches bestraft „Majestätsbeleidigungen“ mit Haftstrafen zwischen drei und 15 Jahren und ist damit eines der härtesten Gesetze der Welt in dieser Beziehung. Damit wird zudem jede Debatte über die politische Rolle des Königshauses unterdrückt. Anklagen unter diesem Paragraphen sind regelmäßig der Kritik ausgesetzt, politisch motiviert zu sein; unter anderem wurden in letzter Zeit vermehrt Anhänger Thaksins beschuldigt, die Monarchie zu bedrohen. Eine Vereinigung aus Akademikern der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Thammasat Universität, genannt Nitirat, die sich in den letzten Monaten für eine Änderung des umstrittenen Paragraphen einsetzt, kam unter heftige Proteste, sogar tätliche Angriffe. Diese Gruppe fordert eine Einschränkung der Haftstrafen, aber auch eine Änderung der thailändischen Verfassung in der Art, dass der König einen Eid auf die Verfassung und ihre demokratischen Prinzipien ablegt, um damit auch neuen Putschversuchen unter dem Mantel der Verteidigung der Monarchie den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Trotz fortwährender Kritik aus dem In- wie Ausland haben sich Pheu Thai und Democratic Party jedoch darauf geeinigt den Status der Monarchie und eine Reform des Lese Majeste-Gesetztes nicht zu thematisieren – die Sorge vor Brandmarkung durch den politischen Gegner und gerichtlicher Verurteilung unter eben diesem Gesetz steht dem im Wege.

c)     Verfassungsänderungen und die Rückkehr Thaksins

Dabei ist die thailändische Verfassung mit ihren in der Vergangenheit vielfältigen Änderungen und kompletten Umschreibungen dennoch Spielball der Tagespolitik – die Institution des Königs und die demokratische Verfasstheit des Staates wird jedoch als unantastbar in ihr gesehen, umstritten ist allerdings der Grad dieser Unantastbarkeit. Folglich stellte die Opposition die Frage, ob der Versuch ein verfassungsänderndes Gremium zu etablieren die konstitutionelle Monarchie bedrohe und damit die Urheber dieses Versuches um Premierministerin Yingluck sogar die politische Tätigkeit verboten werden müsse. Entschieden wurde letztlich vergangenen Freitag vor dem Verfassungsgericht des Landes, das bei ähnlichen Anlässen bereits Vorgängerparteien der Pheu Thai verboten hatte. Die Befassung des Gerichts mit dieser Frage war dabei allerdings hochumstritten. Dennoch stellt das gefällte Urteil wohl einen die Lage stabilisierenden Kompromiss dar: Wie das Gericht entschied, sind die geplanten Verfassungsänderungen nicht per se verfassungswidrig, die Pheu Thai Partei kann folglich unbeschadet weiterarbeiten und ein offener Konflikt auf den Straßen ist vermieden – der Führer der UDD hatte gar vor Bürgerkrieg gewarnt. Jedoch stellte das Gericht fest, dass eine komplette Neuformulierung der Verfassung per Referendum abgesegnet werden müsse, da auch die derzeitige so eingesetzt worden sei – ein per se die Volkssouveränität stärkendes Postulat.

Verbunden ist diese Diskussion mit einem geplanten Amnestie-Gesetz, das über eine Verfassungsänderung verankert würde. Dieses Amnestie-Gesetz wird jedoch von allen Seiten kritisiert – denn es würde nicht nur Thaksin die Rückkehr erlauben und damit die innenpolitische Lage zumindest aus Sicht der Gelbhemden zusätzlich destabilisieren, sondern auch die blutige Niederschlagung von Protesten der Rothemden straffrei stellen. Die Frage des Einflusses Thaksins auf seine Schwester schwebt dabei seit Beginn der Amtszeit Yinglucks über ihr.

3.      Ausblick

Angesichts dieser Spannungen und Mängel ist fraglich, ob sich die Demokratie Thailands über die mittlere Frist nachhaltig stabilisieren kann. Allerdings ist dies auch aus ASEAN-Perspektive unerlässlich. Bislang hat Thailand bemerkenswerte Fort- aber auch regelmäßige Rückschritte auf dem Weg der Demokratisierung vollzogen. Gelingt es ein friedlich alternierendes Regierungssystem zu etablieren, kann Thailand ein wichtiger Motor des Demokratisierungsprozesses in ganz Südostasien werden und Beispiel für die es umgebenden autoritären und semi-autoritären Staaten in etwa Myanmar oder Laos sein.

Gundproblematik ist jedoch die ständige Unsicherheit über die Spielregeln der thailändischen Demokratie. Nicht nur, dass sich eine polarisierte Bevölkerung wie Elite gegenübersteht, mit reaktionären Kräften in Militär und Palast; die beteiligten Akteure haben sich auf keinen politischen Grundkonsens geeinigt, der die Basis einer dauerhaften demokratischen Ordnung sein kann – die gegenwärtige Verfassung stellt die 17. ihrer Art seit 1932 dar. Politik wird zentral durch persönliche Netzwerke beeinflusst, denen je eigenen Machtagenden zugrunde liegen. Zentrale politische Institutionen, die höheren Verwaltungsebenen, das Militär und Königshaus sind seit Jahrzehnten nicht reformiert worden.

Zudem ist die Dichotomisierung der thailändischen Politik nur ein Symptom einer weltweiten Tendenz: Eine zunehmende Entwicklung von Ungleichheit innerhalb und zwischen Ländern, die damit verbundene wachsende Unsicherheit auch der Mittelklasse und ihr damit verbundenes Zweifeln an der Demokratie, der Konflikt um die Rolle und Tragweite des Wohlfahrtsstaates, der Anziehungskraft populistischer Strömungen und der vielfach unterschätzten tiefen Verankerung gewachsener Institutionen. Demokratie, nicht nur in Thailand, ist damit nur oberflächlich bedroht von ‚verführten Massen’, destabilisierend wirken genauso eine zunehmend verunsicherte Mittelklasse und die traditionellen Institutionen.

von Lukas Rudolph

Bibliographie

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Croissant, A., 2008: Soziale Gruppen, politische Kräfte und die Demokratie. Eine strukturorientierte Analyse der demokratischen Transformation in Thailand. Südostasien aktuell 2/2008. [pdf] Available at  <http://www.uni-heidelberg.de/imperia/md/content/fakultaeten/wiso/ipw/croissant/publications/croissant_2008_soziale_gruppen.pdf> [Accessed 17.07.2012].

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Thitinan Pongsudhirak, 2012: Thailand’s Uneasy Passage. Journal of Democracy 23[2], pp. 47-61.