Moskaus Traum von der Eurasischen Union: Große Pläne, kleine Potentiale
Während durch die Eurokrise das größte Integrationsprojekt aller Zeiten zu scheitern droht, wagt Moskau den Versuch einer ökonomischen und politischen Re-Integration des postsowjetischen Raumes. Bis 2015 soll gemeinsam mit den anderen postsowjetischen Republiken die Eurasische Union ins Leben gerufen werden.
Ohne Frage sind Putins Pläne ambitioniert. Der Aufbau der Eurasischen Union soll sich am europäischen Einigungsprozess orientieren, gleichzeitig jedoch dessen Irrwege vermeiden. So ist die Schaffung einer supranationalen Vereinigung geplant, die sich zu einem eigenen Machtpol entwickeln und als Brücke zwischen der EU und dem asiatischen Raum dienen soll.
Was zunächst herausfordernd klingt, trägt bereits erste Früchte. Gemeinsam mit Belarus und Kasachstan hat Moskau die vertragliche Grundlage für einen gemeinsamen Wirtschaftsraum gelegt, der die Freizügigkeit von Dienstleistungen, Kapital und Arbeitskräften vorsieht und eine Zollunion gegründet, die seit 2011 aktiv ist. Da es genau jene Zollunion ist, die den Nukleus für die spätere Eurasische Union darstellt, hat Moskau seine Aktivitäten zur „Mitgliederwerbung“ intensiviert. Hierbei rücken vor allem zwei Länder in den Fokus:
Aus der Perspektive Moskaus stellt die Ukraine als zweitgrößte ehemalige Sowjetrepublik das „Kronjuwel“ dar, das über den Erfolg der Eurasischen Union entscheidet. Zum Verdruss Moskaus hat sich jedoch der ukrainische Präsident Janukowitsch in den letzten Jahren um eine ökonomische Annäherung an die EU bemüht, was durch den Abschluss eines Freihandelsabkommens gekrönt werden soll. Der Fall der ukrainischen Oppositionspolitikerin Julia Timoschenko hat jedoch die Beziehungen zwischen der EU und der Ukraine erheblich abgekühlt, was den Abschluss des Abkommens gefährdet. Moskau nutzt diese Chance, um die Ukraine für einen Beitritt zur Zollunion zu gewinnen und setzt dafür Zuckerbrot und Peitsche ein. Einerseits will Russland der Ukraine im Falle eines Beitritts bessere Konditionen für den wichtigen Gashandel gewähren. Andererseits wurden vor kurzem einige ukrainische Waren mittels Strafzöllen aus den Märkten der Zollunion ausgeschlossen – ein klares Signal an Kiew.
Das zweite Land, auf das sich die Aufmerksamkeit der Zollunion richtet, ist Kirgistan. Das Land, das die Aufnahme bereits beantragt hat, spielt für Moskau aus zwei Gründen eine elementare Rolle. Zum einen stellt Kirgistan die Brücke zu den anderen zentralasiatischen Staaten dar. Tadschikistan hat bereits angekündigt, nach Kirgistans Aufnahme in die Zollunion zu folgen. Damit wären dann
auch die bisher unwilligen Staaten Usbekistan und Turkmenistan ganz von der Zollunion umgeben, was es Moskau erleichtern würde, den Druck zu erhöhen. Zum anderen ließe sich durch die Aufnahme Kirgistans eine weitere direkte Zollgrenze zu China mit höheren Zöllen und strikteren Kontrollen aufbauen und somit Chinas wirtschaftlicher Einfluss auf die Region eindämmen. Obwohl die Erweiterung der Zollunion auf Zentralasien also relativ wahrscheinlich ist, ist der daraus resultierende Vorteil, aufgrund des geringen Wirtschaftsniveaus der Staaten eher nachrangig.
Ist es vor diesem Hintergrund angebracht, dass die Eurasische Union medial als gefährliches Konkurrenzprojekt zur EU dargestellt wird? Wohl eher nicht. Zwar kreuzen sich in Osteuropa und im Kaukasus Moskaus Integrationswünsche und europäische Assoziationsinteressen in Gestalt der östlichen Partnerschaft, doch haben sich die Staaten dieser Regionen in den letzten Jahren eher in Richtung EU orientiert. Rein wirtschaftlich gesehen ist das auch ein logischer Schritt. Während die drei bisherigen Mitglieder der Zollunion insgesamt auf ein BIP von circa 2,1 Billionen Dollar und 165 Millionen Konsumenten kommen, steht die 27 Mitglieder starke EU für ein BIP von insgesamt 17,5 Billionen Dollar und 500 Millionen Konsumenten – zweifelsohne ein deutlich attraktiverer Markt.
von David Schlutz
David Schlutz ist Regionalleiter “Russland & GUS”
und Vorstandmitglied von IFAIR e.V.
Dieser Artikel wurde ebenfalls im Diplomatischen Magazin, Partner von IFAIR e.V., in der Oktober-Ausgabe veröffentlicht.