Transatlantischer Freihandel und die drohende EU-Desintegration

Transatlantischer Freihandel und die drohende EU-Desintegration

Mit der Schaffung einer Freihandelszone zwischen der EU und den USA sind große Hoffnungen auf neue wirtschaftliche Impulse verbunden. Die europapolitischen Effekte eines solchen Abkommens werden dagegen bislang wenig diskutiert. Ist das Abkommen einmal in Kraft, könnte der Einfluss Brüssels auf den dann transatlantischen Binnenmarkt signifikant abnehmen. In der Mehrheit europaskeptische Staaten wie Großbritannien könnten in diesem Fall noch weniger Gründe dafür sehen, an ihrer EU-Mitgliedschaft festzuhalten.

Als US-Präsident Barack Obama Anfang Februar in seiner ‚State of the Union’-Rede auf die erneute Initiative zur Schaffung einer Freihandelszone zwischen der EU und den USA zu sprechen kam, knallten in Brüssel angeblich die Sektkorken. Befürworter eines transatlantischen Freihandelsabkommens (TAFTA) erhoffen sich davon nachhaltig positive wirtschaftliche Effekte. Für Deutschland erwartet das Münchner ifo-Institut, dass die Arbeitslosigkeit zurückgeht, die Reallöhne steigen und die Exporte in die USA zunehmen.

Mit TAFTA würde die Verteilung der Regelungskompetenzen diffuser

Bei den Verhandlungen über die Einführung von TAFTA liegen die größten Schwierigkeiten darin, eine Einigung über den Umgang mit nicht-tarifären Handelshemmnissen zu erzielen. Nicht-tarifäre Handelshemmnisse sind ein Sammelbegriff für alle Arten von Regelungen und technischen Vorschriften, die effektiv eine versteckte Diskriminierung für Unternehmen eines Mitgliedsstaats innerhalb des Freihandelsabkommens bedeuten. Als der europäische Binnenmarkt geschaffen wurde, hat es einen zentralen überparteilichen Schiedsrichter gebraucht, um bei Streitfällen über nicht-tarifäre Handelshemmnisse zu schlichten und einheitliche Regelungen zu erlassen. Daher wurden mehr und mehr Regelungskompetenzen bei den EU-Institutionen in Brüssel konzentriert.

Wie die konkreten Lösungen für das gleiche Problem im Falle von TAFTA aussehen könnten, ist offen. Eine Einigung wird kaum ohne Änderungen der bisherigen Entscheidungsfindungsprozesse möglich sein. Die Schaffung vergleichbarer Zentralinstanzen wie in Europa, die über Regelungen und Vorschriften zum Abbau nicht-tarifärer Handelshemmnisse entscheiden, ist sehr unwahrscheinlich. Da sich beide Verhandlungspartner auf Augenhöhe begegnen, wird es aber auch nicht möglich sein, dass EU oder USA ihrem Gegenüber ihre eigenen Regelungen und Vorschriften nach dem Friss-oder-Stirb-Prinzip überstülpen, wie es sonst bei bilateralen Freihandelsabkommen üblich war, die die EU oder die USA mit Drittstaaten abgeschlossen haben. Eher denkbar ist etwa die Einrichtung von Schiedsgerichten wie im Rahmen der WTO. Welche Lösung auch immer gefunden wird, eine Auswirkung davon wäre: Über die Richtlinien des europäischen Binnenmarkts könnte nicht mehr allein in Brüssel entschieden werden. Damit würde die Einführung von TAFTA letztlich einen Machtverlust der EU-Administration bedeuten. Die gegenwärtig stark zentralisierte Steuerungsgewalt würde diffuser. Der Freihandel in Europa würde sich stärker von den EU-Institutionen abkoppeln.

TAFTA als Auslöser von europäischer Desintegration?

Welche europapolitischen Folgen könnte eine solche Diffusion der Regelungskompetenzen durch TAFTA mit sich bringen? Ein denkbares Szenario ist: Bestehende Tendenzen für eine europäische Desintegration bis hin zum EU-Austritt, wie sie gegenwärtig in Großbritannien zu beobachten sind, erhalten weiteren Auftrieb.

In seiner vielbeachteten Europarede bezeichnete der britische Premierminister David Cameron das Verhältnis des Königreichs zur EU als pragmatisch, nicht emotional. Die Argumentation, dass die EU als historisches Friedensprojekt immer auch ein Zweck an sich sei, hat in der britischen Öffentlichkeit wenig Gewicht. Tatsächlich ist Großbritannien erst spät auf den Zug der europäischen Integration aufgesprungen. In den 1950er Jahren hatte es noch versucht, mit der Europäischen Freihandelsassoziation EFTA ein Alternativmodell der ökonomischen Kooperation in Europa durchzusetzen, das ohne die Abgabe politischer Souveränität hätte auskommen sollen. Dass Großbritannien heute dennoch EU-Mitglied ist, liegt an einem Strategiewechsel, der in den 1960ern stattgefunden hat. Dieser basierte auf einer Kosten-Nutzen-Rechnung, die im Kern bis heute gilt: Die Abgabe von politischer Souveränität ist das notwendige Übel, um Zugang zum Binnenmarkt zu erhalten und zugleich am Brüsseler Regelungsprozess beteiligt zu sein.

An anderer Stelle in der Europarede kündigte Cameron an, im Falle seiner Wiederwahl ein Referendum über den Verbleib Großbritanniens in der EU abhalten zu wollen. Sollte es zu einem solchen Referendum kommen und sollte die transatlantische Freihandelszone bis dahin tatsächlich Gestalt angenommen haben, würde für Großbritannien erneut eine Kosten-Nutzen-Rechnung anstehen. Haben dann die EU-Institutionen durch die transatlantischen Freihandelsbeschlüsse an Regelungskompetenz eingebüßt, könnte das Pendel diesmal in die andere Richtung ausschlagen. Denn: Für eine TAFTA-Mitgliedschaft muss man nicht in der EU sein, da auch die heutigen EFTA-Staaten Island, Liechtenstein, Schweiz und Norwegen genauso faktischen Zugang hätten wie sie auch heute schon am europäischen Binnenmarkt beteiligt sind. Und je mehr sich die Prinzipien des Freihandels von den Institutionen der EU abkoppeln, desto geringer wiegt das Argument der britischen Europabefürworter, allein des Mitspracherechts in Brüssel wegen in der EU zu bleiben.

 Steffen Murau

Steffen Murau ist Regionalleiter „EU & Europa“ bei IFAIR e.V.

Der Beitrag wurde im Rahmen unserer Kooperation mit dem Online-Debattenmagazin “The European” veröffentlicht. Zur >> [Erstveröffentlichung] und zur entsprechenden >> [Debatte] bei “The European”.