Prism und Tempora – Das Korrektiv der Spionage

Prism und Tempora – Das Korrektiv der Spionage

Alle haben es kommen sehen. Wenn man sich die Kommentare zu den Berichterstattungen über Prism und Tempora im Internet ansieht, wimmelt es nur von Weltuntergangspropheten. Jeder Geheimdienst stecke mit jedem unter einer Decke (was anscheinend >> [gar nicht so falsch] ist) , wir würden alle ständig überwacht und dürften uns gar nicht mehr aus dem Haus trauen. Und die logische Konsequenz ist ihnen zufolge häufig, dass die gesamte Datenschnüffelei ein Ende haben müsse. Dabei ist der Kern des Problems nicht die Tatsache, dass Staaten überhaupt Informationen sammeln. Es ist das Ausmaß, das zivilgesellschaftliche Konsequenzen verlangt.

Weder das Kollektiv noch der Zweck heiligt die Mittel

Es mag sein, dass viele Länder einschließlich Deutschland über Überwachungssysteme wie die USA und Großbritannien verfügen, wenngleich sicher nicht alle mit ähnlichen technischen und finanziellen Mitteln ausgestattet sind. Aber nur weil irgendjemand damit anfing, heißt es noch nicht, dass die umfassende Massenüberwachung nun automatisch allen zusteht. Auch lässt sich eine Legitimation nicht ohne Weiteres aus einer möglichen Notwendigkeit der Maßnahmen ableiten. Denn gehen wir einmal davon aus, dass Prism und Tempora durchaus zeitgemäße Mittel zur Terrorabwehr sind, die ihren Zweck erfüllen und die Sicherheit der Amerikaner und Briten erhöhen. Dann stehen sie immer noch in grundlegendem Konflikt mit Artikel 12 des >> [Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte], deren Schutz gleichzeitig und paradoxerweise das Ziel der Programme ist. Wie kann ich als Staat also an dieser Stelle Freiheit und Sicherheit der Bürger unter einen Hut bringen? Wie passt ein Geheimdienst überhaupt in eine demokratische Ordnung?

Handeln muss Konsequenzen haben

Möglicherweise ist es den USA und Großbritannien je nach Informationslage sogar moralisch geboten zum Schutz ihrer Bürger massiv zu spionieren. Aber dann müssen sie auch die vollen Konsequenzen für ihre Handlungen tragen und dürfen nicht auf irgendeine Art von öffentlicher Gnade hoffen, nur weil es sich durchaus um angemessene Schutzmaßnahmen handeln könnte. Exemplarisch steht dafür der >> [Fall] des Polizisten Wolfgang Daschner, der dem Entführer des Bankierssohnes Jakob von Metzler Folter androhte, um das Leben des Kindes zu retten. Aus mancher Sicht ist solche „Rettungsfolter“ durchaus vertretbar, resultierte aber natürlich in juristischer >> [Bestrafung für den Beamten]. Moralische Verantwortung verlangt den Umständen entsprechend sich über geltendes Recht hinwegzusetzen um andere zu retten und die Nachteile selbst und allein in Kauf zu nehmen. Und diese sollte man gerade von staatlichen Institutionen wie der Armee, Polizei und eben Geheimdiensten und ihren Bediensteten verlangen können.

Damit die Grenzübertretung – Folter oder Spionage – ihren Ausnahmecharakter behält, muss sie natürlich nachträglich als illegitim gesellschaftlich geahndet werden. Nur so ist gewährleistet, dass auch in Zukunft der Spagat zwischen Wahrung der Freiheitsrechte und Schutz von Menschenleben gewährleistet ist. Prism und Tempora müssen also mit allen diplomatischen Mitteln, die den betroffenen Völkerrechtssubjekten zur Verfügung stehen, bestraft werden, um die Ordnung wiederherzustellen. Selbst wenn sie nützlich und in guter Absicht gewesen sein sollten.

Demokratie und Geheimdienste

Geheimdienstliche Tätigkeiten überhaupt in Einklang mit einer konsequent demokratischen Grundordnung zu bringen, ist schwierig. Es ist aber in jedem Fall unmöglich, sobald das Ausmaß des faktischen Eingriffs in die Bürgerrechte öffentlich wird. Denn jede Legitimität wird in dem Moment massiv beschnitten, sobald ein stillschweigend anerkannter Rechtsbruch zum allbekannten Politikum wird: Die jeweilige Ordnung würde mit allgemeiner Anerkennung von eklatanten Abweichungen ansonsten ihre Autorität und Durchsetzungskraft verlieren und schlimmstenfalls die vormalige Ausnahme zur neuen Regel machen.

So könnte man das Ausspionieren der EU-Botschaft in Washington im Hinterzimmer diplomatisch anders sanktionieren, als es nun durch die volle Einbeziehung der Öffentlichkeit möglich ist. Denn die Checks und Balances unserer Werteordnung erlauben durchaus ein Leben ohne stetige paranoide Panik und mit wohlwollendem Vertrauen in das System. Aber die Akzeptanz geheimdienstlicher Aktivitäten endet spätestens dann , wenn die Bevölkerung klar und breit über massive freiheitsberaubende Maßnahmen informiert wird. Was dann folgen muss, ist ein Sturm der Entrüstung, um Recht und Unrecht vorerst wieder klar zu definieren. Demjenigen, der sich zu viel herausnimmt und deswegen damit auffliegt, sollte es eine Lehre sein: Nur so bleibt die Hemmschwelle solcher massiven Spähprogramme für alle Staaten der Erde so hoch wie möglich.

In der Bewertung dieser beiden größten Spähprogramme der Geschichte darf weder die Fraktion „aber das machen doch alle“, noch die Fraktion „das ist aber notwendig“ Recht bekommen. Handeln benötigt Konsequenzen und ein Rechts- und Wertesystem muss zur Selbsterhaltung durchaus Zähne zeigen, um sich keinen Spielraum zu verbauen. Damit das delikate System von Informationen und Schutz vor Bedrohungen intakt bleibt, muss es ständig korrigiert werden. Daraus ergibt sich aber nicht, dass ein demokratischer Staat keinerlei Überwachung und Informationssammlung betreiben sollte. Per se mag solche zwar undemokratisch, in Teilen auch illegitim sein. Dass sie aber schon in angemessenen Maßen unheilvoll ist, ist Unfug.

Elmar Stracke
Elmar Stracke studierte Russisch in St.-Petersburg und ist heute an der Universität Bayreuth im Studiengang “Philosophy & Economics”.