Das digitale Wettrüsten: so gefährlich wie nutzlos

Das digitale Wettrüsten: so gefährlich wie nutzlos

In der Debatte über den Überwachungsskandal rechtfertigen die Verantwortlichen die Mittel mit dem Zweck. Dabei sind sie von ihren Zielen weiter entfernt, als jemals zuvor.

Zu Beginn des Jahres fragten sich viele, wozu die Amerikaner ein neues Datenzentrum in Utah bauen. Die unvorstellbare Speicherkapazität von konservativ geschätzten fünf Zettabyte kann man nur greifen, wenn man sie in ein anschauliches Verhältnis setzt. Für jeden einzelnen Menschen stehen bei Fertigstellung mehr als 100 Gigabyte Speicherplatz zur Verfügung. Dies ist deutlich mehr, als die meisten Menschen an persönlichen Daten besitzen. Seit den Enthüllungen von Edward Snowden ist die Motivation für den mit 1,5 Mrd USD veranschlagten Bau bekannt. Die amerikanische Regierung hat das klare Ziel, den gesamten Internetverkehr dauerhaft zu speichern um ihn später in Ruhe durchsuchen, entschlüsseln und analysieren zu können. Die Debatte, die nach dem Bekanntwerden der zahlreichen Programme der verschiedenen Geheimdienste angestoßen wurde und sich vor Allem auf rechtliche und gesellschaftliche Aspekte konzentriert ist richtig und wichtig. Eine entscheidende Frage bleibt dabei aber bislang außen vor: Kann das vorgebliche Ziel, Terroristen und Verbrecher zu erkennen und ihre Pläne zu vereiteln auf diese Weise überhaupt erreicht werden?

Im Rennen mit der Wissenschaft liegt die NSA immer weiter zurück

Die Gegenspieler im digitalen Wettrüsten der Geheimdienste sind genau diejenigen, aus deren Mitte die NSA notgedrungen ihre Fachkräfte rekrutiert. Informatiker, Mathematiker und Hacker arbeiten unermüdlich an immer ausgefeilteren technischen Lösungen um Kommunikation vor den Augen dritter zu schützen. Die Motivation dafür ist vielfältig und reicht von Gedanken zum Schutz vor ungerechtfertigter Überwachung und zu Gefahren für die Demokratie über schnöde kriminelle Energie bis hin zur reinen Freude an der Eleganz und Genialität von neuen Algorithmen und Beweisen. Nicht zuletzt an Edward Snowden kann man erkennen, dass sich junge und intelligente Menschen mit demokratischen und freiheitlichen Weltbildern nur bedingt als Handlanger für Operationen eignen, deren Erfolg sich erst mit dem Ende von Demokratie und Freiheit einstellt.

Dass es diesen Wissenschaftlern und Aktivisten inzwischen gelungen ist, Verfahren zu entwickeln, die kein Geheimdienst mit seinen gigantischen Mitteln knacken kann, zeigt das seit Jahren bestehende TOR Netzwerk. Hier können sowohl politisch Verfolgte, wie auch Drogenhändler und andere Kriminelle vollständig vor neugierigen Dritten geschützt kommunizieren und sogar ganze Webportale betreiben. Inzwischen ist mit Bitcoin ein zusätzliches Instrument hinzugekommen, welches den Nutzern ermöglicht, sich bei Bezahlung und Geldtransfer jedweder staatlicher Kontrolle und Aufsicht zu entziehen. Die Überwachungsapparate haben damit den Zugriff auf das wichtige Feld der Finanztransaktionen verloren, auch wenn es ihnen noch nicht bewusst sein mag. Dass diese Werkzeuge von Verbrechern und möglicherweise von Terroristen genutzt werden, liegt in der Natur der Dinge. Durch ihren Überwachungswahn beschleunigen die Geheimdienste aber die Entwicklung und Verbesserung der Werkzeuge und Algorithmen und verlieren damit jede Zugriffsmöglichkeit im begründeten Verdachtsfall.

Die Bürgerrechte bleiben auf der Strecke

Die allgemeine Ausweitung der Überwachungsmaßnahmen ist also nutzlos, weil sich bereits heutzutage Terroristen und Kriminelle mit etwas Sachverstand der Überwachung und Kontrolle vollständig entziehen können. Währenddessen werden die Grundrechte der Bürger auf dem Altar der totalen Terrorabwehr geopfert und de facto abgeschafft. Als Nebenprodukt der Überwachungsbemühungen entsteht eine perfekte Maschinerie, mit der sich alle anderen weniger versierten und unbedarften Nutzer des Internets und neuer Technologien überwachen, kontrollieren und schließlich auch unterdrücken lassen. Dies kann in naher Zukunft dazu führen, dass jeder noch so kleine Verstoß gegen Gesetze eine sofortige Sanktion zur Folge hat und befähigt die Regierung jede unliebige politische Bewegung im Keim zu ersticken. Langfristig halten wir damit eine Infrastruktur vor, die sich als das fehlende Puzzleteil in den Apparaten der in der Vergangenheit gescheiterten totalitären Regime entpuppen könnte. Davon auszugehen, dass die aktuelle gesellschaftliche Stabilität für immer anhält, muss nicht nur als vollkommen naiv sondern auch als grob fahrlässig angesehen werden. Gerade die deutschen Bürger sollten es besser wissen.

Levin Keller
Der gebürtige Berliner studierte Mathematik in Würzburg, Bonn und Paris und lebt und arbeitet in München.