Versöhnung mit Al-Qaida im Islamischen Maghreb – Eine Frage der Wortwahl?

Versöhnung mit Al-Qaida im Islamischen Maghreb – Eine Frage der Wortwahl?

MNLA und AQIM verüben gleichermaßen Anschläge im Norden Malis. Verhandelt wird mit den „Rebellen“, nicht mit den „Terroristen“. Ist diese Unterscheidung nach einer Überprüfung der Hintergründe von AQIM aufrecht zu erhalten?

Nach einem Militärputsch im März 2012 eroberten zunächst säkulare Tuareg des Mouvement National de la Libération de l’Azawad (MNLA) und Splittergruppen von Al-Qaida im Islamischen Maghreb (AQIM) den Norden Malis. Erst die Allianz Malis, Frankreichs und der ECOWAS konnte ein Vorrücken stoppen und die AQIM zurückdrängen. Die UN-Mission MINUSMA soll seit Juli 2013 den Friedens- und Versöhnungsprozess unterstützen.

Dieser Versöhnungsprozess stützt sich auf Verhandlungen malischer und französischer Militärs mit den „Rebellen“ der MNLA, während Verhandlungen oder gar ein Versöhnungsprozess mit AQIM als unmöglich dargestellt werden. Mitglieder von AQIM seien illegitime „Terroristen“ oder „Kriminelle“, keine Tuareg oder Malier, und hätten daher kein Interesse an einer Eingliederung in die malische Gesellschaft.

Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass in der politischen Praxis keine einfache Unterscheidung zwischen „Rebellen“ und „Terroristen“ möglich ist, lässt sich dennoch nachweisen, dass in dem politischen Diskurs um AQIM und MNLA ein Bild von sprachlichen „Polen“ erzeugt wird. Dies geschieht mittels der Unterscheidung zwischen für Verhandlungen geeigneten, legitimen „Rebellen“ und ungeeigneten, illegitimen oder „fremden“ „islamistischen Terroristen“. Bei einem genaueren Beleuchten der Hintergründe von AQIM bestätigt sich dieses Bild nur eingeschränkt, weshalb Argumente vorgebracht werden sollen, inwiefern Verhandlungen mit AQIM möglich und sogar notwendig sind.

Die Wurzeln von Al-Qaida im Islamischen Maghreb

Die historische Entwicklung von AQIM zeigt, dass es sich nicht um eine externe, fremde Gruppe handelt, sondern dass AQIM seine Wurzeln in der Region, genauer in Algerien hat.

So ist sind die Groupe Islamiste Armée (GIA) und ihre Nachfolgegruppe, die Groupe Salafiste pour la Prédication et le Combat (GSPC), Produkte des Bürgerkriegs und des misslungenen Versöhnungsprozesses der algerischen Regierung (vgl. Humphrey 2012 und Marret 2008).

Seit 1998 bestehen Kontakte der GSPC zu Al-Qaida, 2007 kam es schließlich zu einer offiziellen Umbenennung in Al-Qaida im Islamischen Maghreb.

Nach Mali breitete sich die GSPC in den späten 1990er-Jahren von Algerien in den kaum von der malischen Regierung kontrollierten Norden aus, um sich über eine entstandene „Freihandelszone“ für Schmuggelgüter zu finanzieren und einen Rückzugsort zu schaffen. Dort konnte sie über Wochenmärkte ein enges logistisches Netz aufbauen. Die Umbenennung in AQIM hatte zunächst nur eine Veränderung der geschmuggelten Waren und eine Ausweitung des Geschäfts auf Geiselnahmen zur Folge, nicht aber Anschläge z.B. in Bamako (vgl. Rocksloh-Papendieck/ Papendieck 2012: 7). Ebenfalls ist bekannt, dass es Verbindungen zu höchsten Kreisen der malischen Regierung unter Amadou Toumani Touré gegeben hat, die von dem Drogenschmuggel durch AQIM profitierten (vgl. ebd.).

Die Umbenennung in AQIM zielte zunächst vor allem auf den sprachlichen Effekt ab, sich selbst als Al-Qaida zugehörig zu „labeln“ und in den internationalen Diskurs um Islamismus einzugliedern (vgl. Dowd/Raleigh 2013). Von einer neuen „globalen“ Bedrohung ist AQIM hingegen weit entfernt.

Die bis heute bestehende enge Verknüpfung AQIMs mit Algerien zeigt, dass erfolgreiche Bekämpfung und Entradikalisierung nur unter Einbindung vor allem der algerischen Regierung sowie der Länder der Region erfolgen kann, nicht aber durch externe Akteure wie die französische Armee.

Gibt es eine Neuausrichtung von AQIM?

AQIM hat bisher eine Doppelstrategie aus direkten Maßnahmen in Algerien und eine Finanzierung über die kaum überwachbaren Sahelgebiete wie dem Norden Malis verfolgt (vgl. Larémont 2011). Eine Teilnahme an dem globalen Jihad Al-Qaidas, z.B. durch Anschläge in Europa, scheint hingegen bisher nicht gewollt zu sein (vgl. Roberts 2011).

Eine Radikalisierung der Ausrichtung AQIMs ist mit dem Tod des bisherigen Anführers Abd al-Hamid Abu Zeid zu befürchten. Durch Djamel Okacha ist eine stärkere Akzentuierung des Jihad auch in Mali anstelle krimineller Aktivitäten möglich (vgl. Le Courrier d’Algérie, 26.3.2013, nach Cristiani 2013: 9). Dies kann unter anderem an der Teilnahme Okachas am Krieg in Afghanistan festgemacht werden (ebd.).Damit gehört Okacha der ersten Generation von Mujaheddin an, die in Afghanistan gegen die Sowjetunion gekämpft hat. Diese erste Generation ist später Keimzelle für Al-Qaida, sowie Inspiration und Anleitung für folgende Generation von Mitgliedern und sympathisierenden Gruppen wie AQIM geworden (vgl. Roy 2011).

Es bleibt aber abzuwarten, gegen wen sich die Aktivitäten von AQIM richten werden. Sind dies europäische Ziele, oder Ziele in den fragilen Staaten Nord- und Westafrikas wie Algerien, Tunesien, Libyen und auch Mali (vgl. Cristiani 2013)?

Verhandlungen trotz Anschläge

Um AQIM und andere islamistische Gruppen von der MNLA zu unterscheiden, wird im politischen Diskurs meist ihre radikal-islamistische Orientierung, ihr internationaler Bezug und das Verüben von Anschlägen im Sahelraum betont. Hieraus resultierten die Missachtung politischer Prozesse, keine Integrierbarkeit in die malische oder algerische Gesellschaft und vor allem fehlendes Vertrauen durch terroristische Aktionen als Gründe für AQIMs mangelnde Eignung für Verhandlungen.

Der MNLA wird hingegen ein eindeutiges Interesse an Verhandlungen und einem Friedensprozess unterstellt, bestehe sie doch aus ortsansässigen Tuareg. Aus dieser Annahme leiten sich politische Forderungen wie mehr Autonomie, Anerkennung und Minoritätenschutz und somit ein Gelingen von Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration (sog. DDR-Maßnahmen) sowie einem Versöhnungsprozess ab (vgl. Rocksloh-Papendieck/Papendieck 2012).

Dies trifft dahingehend zu, dass Verhandlungen zwischen MNLA, französischer Armee und der malischen Regierung stattfinden und ein Friedensvertrag unterzeichnet wurde. Andererseits setzt sich die MNLA insbesondere aus Mitgliedern der adeligen Ifoghas-Tuareg der Region Kidal im Norden Malis und Rückkehrern aus Libyen zusammen, was ihre Repräsentativität für alle Tuareg Nordmalis stark einschränkt. Auch gibt es Meldungen über Anschläge während der Verhandlungen, die von Anhängern der MNLA verübt worden sein sollen, was das Image einer um Anerkennung kämpfenden Rebellengruppe ankratzt (vgl. Lohmann 2013 und Zounmenou 2013). Dies lässt Zweifel aufkommen, weshalb Gespräche mit der MNLA stattfinden, mit AQIM hingegen strickt abgelehnt werden. Beide Gruppierungen greifen gleichermaßen auf terroristische Aktionen wie Anschläge zurück, was aber das ohnehin schon geringe Vertrauen der malischen Gesellschaft reduziert.

Dennoch muss betont werden, dass das Verwenden von Gewalt – auch von Anschlägen – nicht als reines Ausschlusskriterium bei Verhandlungsprozessen gelten darf. Andernfalls hätten niemals Verhandlungen mit Rebellengruppen, oder jüngst zwischen den USA und Taliban, stattfinden dürfen.

Die Bezeichnung AQIM ermöglicht vor allem eine Versicherheitlichung

Die Umbenennung der GSPC zu AQIM führte vorerst nicht zu einer internationalen Ausweitung der Aktivität der Gruppe z.B. durch Anschläge in Europa. Der offene Bezug zu Al-Qaida hat jedoch einen anderen Effekt im Diskurs über die Gruppierung: AQIM rückt sprachlich in die Nähe zu Al-Qaida und bekommt einen globalen Bezug, der vielleicht noch auf die Region, aber nicht auf das Ursprungsland Algerien hinweist. Dies ermöglicht es sowohl der malischen Regierung und ihren Alliierten, als auch den internationalen Politikern und Medien, AQIM zu einer „cross-border“-Gruppierung zu stilisieren und somit rhetorisch zu versicherheitlichen. Der Kampf gegen „Terroristen“ benötigt im Gegensatz zu Verhandlungen mit „Rebellen“ außergewöhnliche Maßnahmen wie militärische Operationen und Aufklärung durch Sicherheitskräfte – das Aufnehmen von Gesprächen hingegen ist mit einer transnational agierenden, terroristischen Gruppe scheinbar unmöglich (vgl. Humphrey 2012 und Renner/Spencer 2012).

AQIM als Indikator für Probleme des Maghreb

Dieser rhetorische Akt der Versicherheitlichung hat negative Konsequenzen. So wird verschleiert, dass auch AQIM ein Indikator für die Probleme der Region ist. Diese Probleme sind unter anderem fragile Staatlichkeit und offene Grenzen, hohe Armut, Korruption sowie insbesondere Fehler der Regierungen und die fehlende Zusammenarbeit der Sahelanrainer. Die internationale Hilfe im Kampf gegen den Terrorismus könnte darüber hinaus zur fragwürdigen Legitimierung der neuen Regierung Malis dienen, um z.B. in den Versöhnungsprozess des Landes einzugreifen.

Darüber hinaus sind Al-Qaida und AQIM auch als Zeichen für eine nötige Diskussion über die Ausrichtung des Islams, zwischen der Auslegung des Korans und die Frage, welchen Grad an Modernisierung und Säkularisierung ein muslimisch geprägtes Land zulassen kann, zu verstehen (vgl. Cronin 2011). In diesen Diskurs lässt sich ebenfalls die anfängliche Forderung der MNLA nach einem säkularen und unabhängigen „Azawad“ einordnen.Solche kleinen Gruppierungen sollten daher nicht einfach bekämpft – oder gar „eliminiert“ – werden, da sie für ein größeres gesellschaftliches Problem stehen (vgl. Renner/Spencer 2012: 7). Dies zeigt sich auch darin, dass die Rebellion 2012 in einer Reihe von Tuareg-Aufständen für mehr Anerkennung und Mitbestimmung steht. Ein Vorgehen wie bisher – militärische Bekämpfung mit wenigen politischen Zugeständnissen – würde nur den Nährboden für weitere Frustration und Gewalt bereiten.

Sprachliche Möglichkeiten, aber reale Grenzen

Streng genommen qualifizieren – oder disqualifizieren – sich AQIM und MNLA gleichermaßen für Verhandlungen oder gar für einen Versöhnungsprozess, da beide Gruppen weiterhin Anschläge verüben und ihnen zum Teil schwere Menschenrechtsverletzungen nachgewiesen werden. Im Fall der MNLA lässt sich unter Umständen mehr Kooperationsbereitschaft und eine politische Vertretung vorfinden. Die Rolle der MNLA wirft allerdings neue Fragen auf: Bis zu welchem Grad kann eines der ärmsten Länder der Welt auf gewalttätig formulierte Forderungen einer Minderheit eingehen, ohne die Unterstützung der restlichen Bevölkerung zu verlieren?

AQIM hat sich währenddessen ins Ausland – aktuell Marokko – zurückgezogen. Dass sich die Gruppierung noch nicht in einem fragilen Staat wie Libyen festsetzen konnte, sollte ein gewichtiges Argument für eine vertiefte Zusammenarbeit mit anderen Sahelanrainern auf dem Gebiet der Verbrechensbekämpfung, zivilen Maßnahmen wie der Armutsbekämpfung, aber auch in dem Anvisieren von Verhandlungen mit AQIM sein.

von Anna Mühlhausen,
Studentin im Masterstudiengang Friedens- und Konfliktforschung an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg.

Literatur

Cronin, Audrey Kurth 2009: How Terrorism Ends. Understanding the Decline and Demise of Terrorist Campaigns, Princeton, Oxford: Princeton University Press.

Cristiani, Dario 2013: Directions in North African Jihadism in the Post- Mali Conflict Environment, in: Terrorism Monitor (11/11), S. 8- 10.

Dowd, Caitriona/ Raleigh, Clionadh 2013: The Myth of Global Islamic Terrorism and Local Conflict in Mali and the Sahel, in: African Affairs, 112:448, S. 498-509.

Humphrey, Michael 2012: Marginalizing ‚victims‘ and ‚terrorists‘: modes of exclusion in the reconciliation process, in: Renner, Judith/ Spencer, Alexander (Hrsg.): Reconciliation after Terrorism. Strategy, possibility or absurdity? Abingdon, New York: Routledge, S. 48-67.

Larémont, Ricardo René 2011: Al Qaeda in the Islamic Maghreb: Terrorism and

Counterterrorism in the Sahel, African Security, 4:4, S. 242-268.

Lohmann, Anette 2013: Der Preis für den Frieden. Verhandlungen mit Tuareg in Mali, in: Zenith online (Hrsg.), abgerufen über http://www.zenithonline.de/deutsch/politik//artikel/der-preis-fuer-den-frieden-003937/, letzter Abruf 05.01.2014.

Marret, Jean-Luc 2008: Al-Qaeda in Islamic Maghreb: A “Glocal” Organization,

Studies in Conflict & Terrorism, 31:6, S.541-552.

Renner, Judith/ Spencer, Alexander 2012: Conclusion: the (im)possibility of reconciliation in Afghanistan and the ‘war on terror’, in: Renner, Judith/ Spencer, Alexander (Hrsg.): Reconciliation after Terrorism. Strategy, possibility or absurdity?, Abingdon, New York: Routledge, S. 205-217.

Renner, Judith/ Spencer, Alexander 2012: Introduction: reconciling the seemingly irreconcilable?, in: Renner, Judith/ Spencer, Alexander (Hrsg.): Reconciliation after Terrorism. Strategy, possibility or absurdity? Abingdon, New York: Routledge, S. 1-24.

Roberts, Hugh 2011: Logics of Jihadi Violence in North Africa, in: Coolsaet, Rik (Hrsg.): Jihadi Terrorism and the Radicalisation Challenge. European and American Experiences, Surrey: Ashgate Publishing Limited, S. 27- 44.

Rocksloh- Papendieck, Barbara/ Papendieck, Henner 2012: Die Krise im Norden Malis. Aktuelle Lage, Ursachen, Akteure und politische Ordnungen. Friedrich- Ebert- Stiftung (Hrsg.), Berlin, abgerufen über: http://library.fes.de/pdf-files/iez/09526.pdf, letzter Abruf: 04.01.2014.

Roy, Oliver 2011: Al- Qaeda: A True Global Movement, in: Coolsaet, Rik (Hrsg.): Jihadi Terrorism and the Radicalisation Challenge. European and American Experiences, Surrey: Ashgate Publishing Limited, S. 19- 26.

Zounmenou, David 2013: Rethinking the Tuareg Factor in the Malian Crisis, in: Conflict Trends Issue 3, S. 16-23.

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