Russische Außenpolitik in Syrien: Irrational, Illegitim, Machtlos?

Russische Außenpolitik in Syrien: Irrational, Illegitim, Machtlos?

Seit Oktober 2011 blockiert Russland gemeinsam mit China mehrere Syrien-Resolutionen und nimmt hierdurch die Konfrontation mit der EU, den USA und einigen arabischen Staaten in Kauf.  Moskau scheint bereit zu sein, einen hohen Preis für die Unterstützung eines ausgedienten Diktatoren zu bezahlen – und dies bei sehr mageren Erfolgsaussichten.

Waffendeals, Moskaus Mittelmeerbasis, Putins Verbrüderung mit seinem letzten autokratischen Verbündeten im Nahen Osten und Russlands Sorge um das strategische Gleichgewicht in der Region werden häufig als Begründung für die Haltung des Kreml herangezogen. Doch Syriens Anteil an den russischen Waffenexporten lag gemäß dem Friedensforschungsinstitut SIPRI und der New York Times im Jahr 2011 zwischen 3-5%. Für den Kreml ist Syrien also bezüglich der Waffenexporte lediglich eine Fußnote. Der russische Hafen in Tartus hat zudem höchstens als Spionagepunkt Bedeutung – weniger als 100 Matrosen sind hier auf See im Einsatz. Putins Sympathien gegenüber Assad sind also begrenzt, da dessen Freundschaft weder internationale Anerkennung, noch handfeste wirtschaftliche Vorteile verspricht.

Russlands prinzipielle außenpolitische Linie erklärt Putins Festhalten an Assad schon besser. Erstens  wird in Syrien ein alter Konflikt auf neuem Schlachtfeld ausgetragen. Dem Kreml gilt die staatliche Souveränität als höchstes Gut internationaler Politik: Von der Intervention im Kosovo bis zu Gaddafis Sturz kritisierte Russland die Einmischung des Westens. Die Causa Gaddafi war für Moskau – und hier pflichten auch einige westliche Völkerrechtler bei – ein illegitimer Umsturz auf brüchiger völkerrechtlicher Grundlage. Es ist deshalb nur konsequent, dass Moskau dem im Falle Syriens einen Riegel vorschieben will. Zweitens ist Syrien mittlerweile ein Schlachtfeld regionaler und internationaler Mächte. Islamistische Kämpfer, saudische, russische, amerikanische und türkische Waffen spielen ebenso eine Rolle wie der ethnisch-religiöse Gegensatz zwischen der schiitischen Achse (Iran, Irak, Libanon, Syrien) und den sunnitischen Kräften (Katar, Saudi Arabien). Klare Fronten zwischen Gut und Böse sehen anders aus. Russlands Interessen sind daher nicht weniger legitim als jene der USA – beide Mächte folgen bis auf weiteres geopolitischen Erwägungen.

Letztlich jedoch ist die russische Syrienpolitik ohne Alternativen. Verliert Assad, so verliert Russland doppelt, weil es in den Augen der syrischen Opposition diskreditiert ist. Falls Syrien den minimal blutigen Übergang in eine Ordnung nach Assad findet, verfügt die russische Außenpolitik nicht über die Soft Power, um die syrische Bevölkerung für sich zu gewinnen. Selbst in seiner unmittelbaren Nachbarschaft hat Russland große Mühe, sich als „sanfte Macht“ zu etablieren.

Damaskus ist weit von Moskau entfernt, da es über eigene Energieressourcen verfügt und hauptsächlich mit der EU sowie seinen Nachbarstaaten handelt. Die westlichen Staaten sind in diesem Punkt sehr viel besser aufgestellt: Der arabischsprachige Sender Alhurra der US-Regierung hat im Irak ein größeres Publikum als Al-Jazeera, während der russisch-orthodoxe Kirchensender Sojus verstaubte Nachrichten an ein kleines nahöstliches Publikum sendet. Die von der EU gewährten selektiven Freihandelsvorteile – rund 20% des syrischen Handels wird mit dem wichtigsten Partner EU abgewickelt – verbessern das „Standing“ Europas: Frankreich ist zweitwichtigstes Studienziel für syrische Auslandsstudierende und rund 47% der Ägypter bewerten den Einfluss Deutschlands in der Welt vorwiegend positiv, während Russland zu gleichen Teilen (36%) als positiv und negativ bewertet wird. Dies sind Indikatoren, dass Russland in Punkto kultureller und ökonomischer Attraktivität nicht mit der EU mithalten kann und deshalb wenig Chancen hat, einen langfristigen Einfluss auf eine mögliche Ordnung nach Assad auszuüben.

Der nüchterne Blick auf Moskau offenbart, dass Russlands Ziele weder irrational, noch weniger legitim sind als jene des Westens. Regimeumstürze als solche sind für Russland kein legitimer Zweck internationaler Politik. Zugleich ist Russland nicht fähig, die Herzen und Köpfe der Menschen des Nahen Ostens durch Soft Power zu gewinnen. Der Kreml bleibt in dieser Region machtlos.

von Malvin Oppold
Malvin ist stellvertretender Regionalleiter “Russland & GUS”