Chinas neue Geopolitik: Zwei Lehren aus dem Werke Carl Schmitts

Chinas neue Geopolitik: Zwei Lehren aus dem Werke Carl Schmitts

Carl Schmitt, der wohl bedeutendste und gleichzeitig umstrittenste deutsche Staats- und Völkerrechtler des 20. Jahrhunderts, beschreibt in seinem 1950 erschienenen Buch „Der Nomos der Erde“ ein so fundamentales wie offensichtliches Phänomen der modernen Völkerrechtstheorie: Die Erdgebundenheit jeglicher politischen und rechtlichen Ordnung. Demnach gehört zur Gründung und Etablierung einer politischen Entität ihre konkrete Lokalisierung im Raum, aus der überhaupt erst eine ordnungsgebende Gewalt entstehen kann. Internationale Politik und Völkerrecht beschäftigen sich somit vordergründig mit der Verteilung, Änderung und Verteidigung der Einteilungen des Raumes auf die verschiedenen politischen Gemeinschaften. In dieser Einsicht erschöpft sich der volle Sinn des Wortes Geo-Politik.

Ein aktuelles Beispiel dafür, dass die Erweiterung außenpolitischen Einflusses in der internationalen Politik immer auch eine physische Ausweitung des eigenen Gebiets und eine Inbesitznahme des Raumes durch geostrategische Aktivitäten meint, ist China. Diese Raumnahme, oder vielleicht besser: dieser Griff danach, die eigene Einflusssphäre zu vergrößern, lässt sich anhand von einigen Beispielen illustrieren.

In den vergangenen Jahren lassen sich geopolitische Ambitionen der Volksrepublik erkennen, die große Teile der Weltkarte betreffen und bis weit in das europäische Festland hinein reichen. Entsprechend befürchten immer mehr Länder der internationalen Gemeinschaft, auch über die Europäische Union hinaus, einen wachsenden chinesischen Einfluss in der Weltpolitik.

Nach Jahren außenpolitischer Zurückhaltung erklärte Chinas Präsident Xi Jinping auf dem 19. Parteitag der Kommunistischen Partei im Jahr 2017 eine globale Führungsrolle zur neuen Staatsräson. In einer Zeit des machtpolitischen Vakuums, in der die USA ihren weltweiten Einfluss zurückfahren und die Europäer von inneren Krisen geplagt sind, möchte die Volksrepublik zur dominanten Größe auf dem internationalen Parkett werden und die internationale Ordnung nachhaltig in ihrem Sinne prägen. Dessen Institutionen und liberale Grundüberzeugungen, wie Menschenrechte und Umweltstandards, müssten dabei hyper-kapitalistischen und autoritären Strukturen weichen, die mit heutigem internationalen Recht nicht vereinbar sind.

So vage und zukunftsängstlich sich dies anhören mag, verdeutlicht wird diese Einsicht durch die Erklärung Jinpings, man strebe den „Wiederaufstieg der großen chinesischen Nation“ bis zum Jahre 2049, dem 100-Jährigen Bestehen der Volksrepublik, an. Hierfür wird der Einfluss in internationalen Organisationen kontinuierlich ausgebaut, um die Weltpolitik maßgeblich im Sinne des chinesischen Systems zu beeinflussen.

Dies drückt sich wohl am besten in der Phrase „One World, One Dream“ aus; der chinesische Traum, als Schablone für die Lebensführung des freiheitlichen Teils der Menschheit und für die Strukturierung des internationalen Systems, kann sich schnell als Alptraum erweisen. Denn über wirtschaftliche Prosperität hinaus, arbeitet das Land seit Jahren an geostrategischen Interessen im militärischen Sektor. In der internationalen Sicherheitspolitik wurden Kompetenzen stetig ausgebaut. So wurde die Armee vergrößert und deren Schlagfertigkeit erhöht. Das Land ist zum weltweit drittgrößten Waffenexporteur aufgestiegen und stellt einen beachtlichen Anteil der Blauhelm Kontingente innerhalb der Vereinten Nationen.

Dieses selbstbewusste Auftreten in der Sicherheitspolitik wird begleitet von einem immer offensiveren Verhalten in diversen Konflikten. So zum Beispiel in der Auseinandersetzung um Einflussgebiete im Südchinesischen Meer. Bei klarer Verletzung des Völkerrechts erhebt China territoriale Ansprüche auf 90% des Gebiets des Südchinesischen Meeres (ein Gebiet das damit bis zu 1000 km von der chinesischen Küste entfernt reicht), durch das der Großteil des regionalen Handels fließt. Obwohl der Ständige Schiedshof in Den Haag die Unrechtmäßigkeit der chinesischen Ansprüche festgestellt hatte, wird weiterhin internationales Recht gebrochen durch die Missachtung völkerrechtlicher Grundsätze, wie den geregelten Befugnissen eines Landes innerhalb der verschiedenen Meereszonen des Seerechts oder der Verletzung des Rechts auf freie Schifffahrt. Letzteres wird immer mehr durch eine militärische Präsenz ausgehöhlt, die darauf beruht künstliche Inseln aufzuschütten, auf denen Militärbasen entstehen, welche auch Infrastrukturen für schweres Gerät bereitstellen können.

Diese Verschränkung von militärischer Präsenz und wirtschaftlichem Einsatz, lässt sich auf ein weiteres Beispiel beziehen. So eröffnete China vor kurzem ihre erste offizielle Militärbasis außerhalb des eigenen Landes in Dschibuti. Strategisch günstig gelegen an der Schnittstelle zwischen Europa, Asien und Afrika, wird die Handelsroute entlang Dschibutis Küste eine große Rolle im größten Infrastrukturprojekt seit dem Marshallplan spielen. Das 900 Mrd. Dollar schwere Vorhaben der „Belt and Road Initiative“, zu Deutsch „Neue Seidenstraße“, wird von der chinesischen Regierung seit 2013 stetig vorangetrieben. Durch den Bau von Eisenbahnen, Pipelines und Häfen, doch auch Investitionen in die Energieversorgung und den Aufbau von Daten- und Finanzinfrastrukturen, fasst das Land ein Infrastruktur-Netzwerk ins Auge, das den Handel zwischen Europa, Asien und Afrika maßgeblich bestimmen soll.

Über den Zugang zu neuen Absatzmärkten und die Sicherung von Handelsrouten hinaus, ist die Neue Seidenstraße das deutlichste Signal den geopolitischen Einfluss der Volksrepublik zu erweitern und zu untermauern. Nicht zuletzt deswegen sieht die Europäische Union das Vorhaben zusehends skeptisch. Denn nachdem durch die chinesische Übernahme des Hafens von Piräus und einer enger werdenden Verbindung zu Ungarn durch wirtschaftliche Investitionen Europas Türen teilweise schon geöffnet sind, zeigt sich, dass dieser Einfluss über einen rein wirtschaftlichen hinausgeht und auch politische Einflussnahme bedeutet. So blockierte beispielsweise Griechenland ein Jahr nach der Übernahme des Hafens eine gemeinsame Erklärung der EU vor dem UN-Menschenrechtsrat oder aber Ungarn unterschrieb als einziges Land einen Brief der EU nicht, der die Folter an inhaftierten chinesischen Anwälten anprangerte.

All diese Entwicklungen im Auge haltend, warnte der damalige deutsche Außenminister Sigmar Gabriel in seiner Rede bei der Münchener Sicherheitskonferenz im vergangenen Jahr vor dem wachsenden Einfluss Chinas. Hellsichtig verdeutlichte Gabriel dabei, dass es nicht nur um eine Ausweitung wirtschaftlicher Aktivitäten handle, sondern sich die Volksrepublik zu einer echten „Systemalternative“ gegenüber der internationalen liberalen Ordnung herausstelle. Dies werde mit einer konsistenten und konsequenten geopolitischen Strategie verfolgt.

Innerhalb der westlichen Welt sucht man derweil vergeblich nach einer Antwort auf die Herausforderungen, die der Aufstieg Chinas bedeutet. Von einer globalen Idee, oder neuen Initiative zur Strukturierung und Vertiefung der internationalen Beziehungen ganz zu schweigen. Die Benennung Chinas als derzeit größten Kontrahenten für die liberale Ordnung und die Formulierung einer kohärenten Strategie gegenüber dieser Problematik könnte jedoch auch einen Beitrag leisten zur Überwindung der Sinnkrise, in der sich der Westen momentan befindet. Denn frei nach Carl Schmitt ist die Identifikation des Anderen als eben solcher ein Schritt zur Konstituierung und Konsolidierung des Eigenen. Und die erheblichen Bedenken an einer Beteiligung von Huawei am 5G Ausbau in Europa ein erstes Signal sich dieser Aufgabe anzunehmen.

 

Luca Taugner ist Student der Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin. In seinem Studium konzentriert er sich hauptsächlich auf Themen der internationalen politischen Theorie und der Rechtstheorie.