Buch Rezension: “Unsere asiatische Zukunft” von Parag Khanna (2019)
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In den Debatten um die zukünftige Weltordnung sind Prophezeiungen zum Aufstieg Asiens und zur Rolle Chinas als Weltmacht Nummer eins prominent. Bereits Napoleon soll vor 200 Jahren gewarnt haben: „Wenn China erwacht, wird die Welt erzittern.“ Die Verschiebung der globalen Machtverhältnisse von West nach Ost scheinen ihm Recht zu geben. Doch überschätzt diese Ansicht nicht die Stellung Chinas als Supermacht im „asiatischen System“? Schließlich zeichnet der indisch-amerikanische Politikwissenschaftler Parag Khanna ein großartiges Panorama des asiatischen Kontinents, der nicht nur aus China und Japan besteht. Insbesondere Indonesien und Singapur, die technologisch bereits führend sind, werden die Entwicklung Asiens ebenso prägen.
Khannas Kernthese: Das 19. war das europäische, das 20. das US-amerikanische Jahrhundert und das 21. wird das asiatische Jahrhundert sein. Warum? Khanna argumentiert, dass die Seidenstraßeninitiative (BRI) „das bedeutendste diplomatische Projekt des 21. Jahrhunderts“ (S. 10) sei. Es ist vergleichbar mit der Gründung der Vereinten Nationen und der Weltbank sowie dem Marshallplan zusammen. Jedoch mit einem ausschlaggebenden Unterschied: „Die BRI wurde in Asien entworfen, in Asien gestartet und wird von Asiaten geleitet werden.“ (S. 10) Die westliche Weltordnung, in der westliche Gesetze, Interventionen, Gelder und Kultur die globale Agenda vorgaben, sei nun unwiderruflich vorbei. Einprägsam bleibt der Satz: „Im Zeitalter der Asiatisierung werden die Vereinigten Staaten mehr von Asien geformt als umgekehrt.“ (S. 188) Daraus leitet sich der Imperativ des Buches ab: „Betrachten wir die Welt einmal aus asiatischer Sicht.“ (S. 13) Der Westen und Asien unterscheiden sich in ihrer jeweiligen Weltanschauung gravierend. Khanna schreibt: „Der Westen wird, sobald die Vereinigten Staaten und Europa wieder an einem Strang ziehen, die Spitze zurückerobern. Asiaten hingegen betrachten ihre Rückkehr an das Ruder der Geschichte als natürliches Schicksal.“ (S. 21) Erhellend ist die Feststellung: „Generell trachten Asiaten nicht nach Eroberung, sondern nach Achtung. Genügend Respekt für die Interessen des jeweils anderen reicht.“ (S. 23) Das heißt nicht, dass Asien frei von Konflikten sei. Im Gegenteil! Die großen Konfliktherde liegen in Asien. Bemerkenswerterweise vertritt Khanna die These, dass die Kriege Asiens und ihre Schlichtungen zum Prozess gehören, ein „asiatisches System“ aufzubauen. (Vgl. S. 22) China ist ein gutes Beispiel, um die Funktionsweise dieses Systems zu veranschaulichen. Während die USA China in Schach halten wollen, stärken Japan, Indien, Australien und Vietnam ihre Bindungen zu den USA, um einer chinesischen Aggression etwas entgegensetzen zu können. Zeitgleich trage die Einbettung Chinas in ein Geflecht neuer Institutionen (AIIB, SOZ) dazu bei, dass es sich in Zurückhaltung übe. Das verdeutliche die wichtigste Lehre aus Asiens geopolitischer Geschichte, „dass keine Macht lange dominieren konnte, bis sie auf […] Widerstand […] stieß, der ihre Hoffnungen auf ewige Hegemonie zerschlug.“ (S. 103) Demgemäß sei China zwar eine Supermacht, aber deren Aufstieg bestätige die Multipolarität der Welt und werde sie nicht ablösen. Das „asiatische System“ sei mehr von Stabilität und Durchlässigkeit zwischen den Subregionen geprägt, als von Hierarchie bestimmt. Khanna konstatiert einleuchtend: „Deshalb wird es keine chinesische Unipolarität geben – weder global noch auf Asien begrenzt.“ (S. 28)
Khannas Buch bietet einen tiefen Einblick in die Geschichte Asiens. Es legt eine enorme Bandbreite an Informationen dar, wie Asiens Wirtschaft funktioniere, warum Europa Asien liebe, aber (noch) nicht die Asiaten, den Wettlauf um Afrika oder Asiens Technokratien.
Es ist ein brillantes Buch, das durch seine originellen Gedankengänge und scharfsinnigen geostrategischen Analysen herausragt. Das Buch muss man zur Hand nehmen, wenn man die asiatische Perspektive und damit die Welt des 21. Jahrhunderts begreifen will.
In: WeltTrends, Das außenpolitische Journal, Nr. 160, Februar 2020, S. 62-63.
Majd El-Safadi
Majd studiert Geschichte, Politikwissenschaften und Soziologie, ist Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes, Stipendiat der Deutschlandstiftung Integration, Fulbright-Alumnus, Redakteur und Literaturverantwortlicher des außenpolitischen Journals WeltTrends sowie IFAIR-Mitglied.