Das New-START-Abkommen – ein Meilenstein auf dem Weg zu “Global Zero”?
Der Beitrag stellt in einem ersten Teil die wesentlichen Neuerungen des NSTART-Vertrags im Vergleich zu den Vorgängerabkommen dar. Anschließend werden Probleme des Ratifikationsprozesses in den USA aufgezeigt. Abschließend sollen Kritikpunkte und Schwächen des neuen Abkommens diskutiert und mögliche Schritte für zukünftige Abrüstungsverhandlungen kurz umrissen werden.
Nach Ende des Kalten Krieges bemühten sich die USA und Russland 1991 um die Unterzeichnung des sogenannten START-Vertrags (Strategic Arms Reduction Treaty). Der Vertrag war ein wesentlicher Schritt für die nukleare Abrüstung beider Staaten. Er diente der Beschränkung und Reduzierung der stationierten nuklearen Sprengköpfe in den strategischen Streitkräften der Vertragspartner sowie der vollständigen Denuklearisierung der Ukraine, Kasachstans und Weißrusslands. Zwar trat 2003 der SORT-Vertrag (Strategic Offensive Reductions Treaty) in Kraft, der den aktuellen Rüstungskontrollvertrag zwischen den Vertragspartnern bildet. Dennoch fürchtete man nach Auslaufen des START-I-Vertrags am 05. Dezember 2009 eine Stagnation und ein Vakuum hinsichtlich der Rüstungskontrolle zwischen den beiden Staaten. Das New-START-Abkommen (NSTART), welches bereits im April 2010 unterzeichnet und nun am 22. Dezember zunächst von den USA ratifiziert wurde, wird nach erfolgreicher Ratifizierung durch Russland sowohl den START-I-Vertrag als auch das SORT-Abkommen ersetzen.
Wesentliche Neuerungen von New START
a) Bestimmungen zur nuklearen Abrüstung
NSTART soll für insgesamt zehn Jahre in Kraft treten und gibt die Option einer einmaligen Verlängerung auf maximal fünf Jahre. Wie die meisten völkerrechtlichen Verträge dieser Art enthält er eine Rücktrittsklausel. Der Vertrag beschränkt das Gesamtlimit der stationierten nuklearen Sprengköpfe auf 1550 (Aritkel II, Absatz 1b, NSTART). Diese Limitierungen sind allerdings innerhalb der nuklearen Triade von den Vertragspartnern frei wählbar. START I sah eine Reduzierung der Sprengköpfe auf insgesamt 6.000 vor und schrieb zusätzlich Sublimits der Sprengköpfe in unterschiedlichen Trägersystemen vor. SORT legte – ebenso wie nun auch NSTART – keine Sublimits mehr für die unterschiedlichen Trägersysteme fest. Doch im Gegensatz zu SORT setzt NSTART – ähnlich wie START I – eine Obergrenze für stationierte Trägersysteme, welche bei 700 liegt (Artikel II Absatz 1a, NSTART). Das neue Abkommen unterscheidet zwischen stationierten und nicht-stationierten Trägersystemen (bspw. sich in Wartung befindende Systeme) und setzt die Obergrenze für beide bei 800 fest (Artikel II, Absatz 1c, NSTART). NSTART sieht eine Implementierungsspanne von sieben Jahren nach Inkrafttreten des Vertrags vor.
Das Abkommen reguliert weder die Bestände der nuklearen Reservesprengköpfe, noch substrategische bzw. taktische nukleare Waffensysteme. Auch strategische konventionelle Waffen sind in der Regel nicht in den Beschränkungen inbegriffen.
(nach: Fey, Marco/u.a., Auf dem Weg zu Global Zero? Die neue amerikanische Nuklearpolitik zwischen Anspruch und Wirklichkeit, HSFK-Report Nr. 4/2010, Frankfurt a.M., 2010, S.17.)
b) Verifikationssystem von NSTART
Mit NSTART wird das Verifikationssystem von START I, welches nach Ende des Kalten Krieges in einem von gegenseitigem Misstrauen geprägten Milieu entstanden war, entschlackt und neuerlichen politischen, aber auch technischen Entwicklungen angepasst. Dabei werden Techniken des alten Verifikationssystems durch neue Methoden ergänzt. Zunächst werden alle Trägersysteme und Sprengköpfe mit einem eindeutigen Code identifiziert. Damit lassen sich die tatsächlichen Zahlen der Sprengköpfe beim bilateralen Datenaustausch besser bestimmen, da die Zählweise im Vergleich zu SORT und zu START I präziser wird. Zweitens sollen weiterhin „Nationale Technische Maßnahmen“ (NTM) zur Kontrolle ermöglicht werden, an deren Durchführung die Vertragsparteien nicht gehindert werden dürfen, insofern diese Maßnahmen im Einklang mit NSTART und mit bestehenden Prinzipien des internationalen Rechts stehen. Drittens sieht der Vertrag sogenannte „On-site Inspections“ (OSI) vor, die auf maximal achtzehn pro Jahr beschränkt sind und deren Durchführung genauer durch Teil V des Zusatzprotokolls definiert wird. Dabei können sowohl stationierte (Type One Inspections) als auch nicht-stationierte (Type Two Inspections) strategische Systeme untersucht werden. Schließlich schenkt der Vertrag zusätzlichen Musterdemonstrationen („exhibitions“) eine größere Aufmerksamkeit. Diese dienen dazu, im Falle eventueller Modernisierungen und Erneuerungen der Waffenarsenale die entsprechenden Veränderungen in den Systemen zu präsentieren und zu verdeutlichen.
c) Konventionalisierung der strategischen Arsenale
Konventionelle strategische Waffen spielen zukünftig eine größere Rolle. Bereits in der Präambel von NSTART wird auf diese verwiesen. Der Vertrag bietet die Möglichkeit, nukleare Waffenträgersysteme zukünftig zu konventionalisieren, d.h. mit nicht-nuklearen Sprengköpfen zu besetzen. Insgesamt sollen 96 strategische Bomber sowie diverse U-Boote auf diese Art umgerüstet werden und zum Beispiel mit konventionellen Marschflugkörpern ausgestattet werden. Der Vorteil einer solchen Konventionalisierung ist, dass strategische Erstschläge weiterhin durchgeführt werden können, allerdings ohne das Ausmaß nuklearer Kollateralschäden und deren politisch katastrophale Wirkung. Technisch problematisch ist hierbei, dass sich – im Falle eines Angriffs- konventionelle zunächst nicht von nuklearen Waffensystemen unterscheiden lassen. Eine vorherige Unterrichtung des Gegners würde allerdings das Überraschungsmoment abmindern. In der amerikanischen Nuclear Posture Review von 2010 wird zudem unterstrichen, dass die USA sich die Option offen halten, bereits konventionalisierte Raketen und Waffenträger in begründeten Härtefällen zu re-nuklearisieren.
2. Der Ratifizierungsprozess in den USA
Nach der Unterzeichnung von NSTART am 08. April 2010 setzte der interne Ratifizierungsprozess in den Vertragsstaaten ein. Gerade in den USA wurde dieser – aufgrund veränderter Stimmverhältnisse und neokonservativer Kräfte im Senat – als problematisch beobachtet und soll daher in diesem Teil kurz umrissen werden.
Völkerrechtliche Verträge müssen vom US-Senat mit einer Zweidrittelmehrheit verabschiedet werden. Durch die Stimmverluste der Demokraten nach den Senatswahlen im November 2010 war die Obama-Administration gezwungen, stärker auf die Vorbehalte der Republikaner gegenüber NSTART einzugehen. Zunächst wurde heftig kritisiert, das Verifikationsregime von NSTART sei mangelhaft und nicht ausreichend, was nahezu ironisch schien, da das zuvor unter der Bush-Administration gebilligte SORT-Abkommen überhaupt keine Verifikationsmechanismen enthielt. Es wurde in Erwägung gezogen, START I einfach zu aktualisieren bzw. SORT durch ein Protokoll mit Verifikationsbestimmungen zu ergänzen. Solche Ideen ließen sich allerdings nicht mit der russischen Position vereinbaren. Zudem wollten einige Hardliner unter den Republikanern NSTART nur billigen, wenn gleichzeitig auch mehr Mittel für Modernisierungsprogramme der amerikanischen Kernwaffenarsenale zur Verfügung gestellt würden. Dieser Forderung kam die Regierung nach, indem sie zusätzliche 85 Milliarden Dollar, die bisher nicht im Pentagon-Haushalt vorgesehen waren, für die Modernisierung der defense capacities bereitstellte.
Der größte Streitpunkt war allerdings die Frage nach der amerikanischen Raketenabwehr in Europa. Aufgrund russischer Bedenken wird in der Präambel von NSTART explizit auf die Wechselbeziehungen zwischen Raketenabwehrschild und Reduzierung strategischer Kernwaffen hingewiesen. Die Obama-Administration versicherte allerdings nachdrücklich, dass NSTART (ein Abkommen, bei dem es sich um die Reduzierung offensiver Waffensysteme handelt) die geplante Raketenabwehr keinesfalls einschränken wird.
Nach zäher Überzeugungsarbeit seitens der US-amerikanischen Regierung gelang es am 22. Dezember 2010 schließlich, das Abkommen mit einer Mehrheit von 71 Stimmen im Senat zu beschließen. Die Ratifizierung durch die russische Duma und den russischen Föderationsrat wird als weitaus weniger problematisch betrachtet und für Januar 2011 erwartet.
3. Kritikpunkte und Ausblick
Nicht nur innerhalb der USA, sondern auch auf internationaler Ebene bietet NSTART Angriffsfläche für Kritik. Zunächst seien die Fortschritte des Abkommens hinsichtlich der nuklearen Abrüstung aufgrund der nur relativ geringen Reduzierungen in den Arsenalen eher mäßig (siehe Tabelle 2).
Tabelle 2: Aktueller Bestand der Arsenale und erforderliche Reduzierungen in absoluten und Prozentzahlen (nach: Fey, Marco et al.., Auf dem Weg zu Global Zero? Die neue amerikanische Nuklearpolitik zwischen Anspruch und Wirklichkeit, HSFK-Report Nr. 4/2010, Frankfurt a.M., 2010, S. 17.)
Kritisiert wird außerdem die Tatsache, dass NSTART zwar Beschränkungen für stationierte Sprengköpfe und Trägersysteme festlegt, aber keine Limits für nukleare Reservesprengköpfe oder substrategische bzw. taktische Kernwaffen setzt. Verhandlungen über Kontrollabkommen für letztere werden allerdings aufgrund größerer Disparitäten in den Arsenalen der Vertragspartner als wesentlich schwieriger eingestuft (im Vergleich zu den bisherigen Verhandlungen über strategische Streitkräfte).
Die Möglichkeit der Konventionalisierung von nuklearen Waffensystemen wird als eine weitere Schwäche des Vertrags gesehen. Zum einen wird diese als Versuch der USA interpretiert, durch eine konventionelle Überlegenheit zukünftig eine Vormachtstellung auszubauen und damit das strategische Gleichgewicht zu stören. Zum anderen wird befürchtet, dass gerade durch die Konventionalisierung vor allem kleinere Staaten, deren konventionelle Streitkräfte schon aus Kostengründen unterlegen sind, eine nukleare Aufrüstung anstreben bzw. vorantreiben. Hier zeigt sich, dass die ablehnende Haltung der USA in Bezug auf die Beschränkung der konventionellen Waffensysteme langfristig nicht vereinbar ist mit dem von Präsident Obama in Prag formulierten Ziel von „Global Zero“. Zwar wird in der Präambel von NSTART explizit auf die Wechselbeziehung zwischen konventioneller und nuklearer strategischer Offensivwaffen hingewiesen. Langfristig sollten die Vertragspartner hinsichtlich des strategischen Gleichgewichts aber auch Abkommen für die Regulierung konventioneller strategischer Waffen aushandeln.