Zur völkerrechtlichen Zulässigkeit eines Militärschlags gegen den Iran
Zwar ist der Versuch einer Eindämmung des iranischen Atomprogramms mittels militärischer Gewalt nach Ansicht der meisten Beobachter strategisch nur begrenzt erfolgsversprechend[1], im Angesicht historischer Erfahrungen und schärfer werdender Rhetorik in der Iranfrage aber ein immer wahrscheinlicheres Szenario. Die Vereinbarkeit einer solchen Vorgehensweise mit dem Völkerrecht wäre dabei höchst problematisch.
Eine Anwendung von Gewalt ist nach dem Gewaltverbot in Art. 2 Abs. 4 UNCh grundsätzlich unzulässig. Einzig mögliche Rechtfertigung wäre eine Ermächtigung durch den Sicherheitsrat oder die Berufung auf das Recht zur Selbstverteidigung aus Art. 51 UNCh. Eine entsprechende Resolution des UNSC ist vor dem Hintergrund der eben dargelegten Verflechtungen zwischen dem Iran und den Vetomächten Russland und China mehr als unwahrscheinlich. Somit bliebe allein ein Rückgriff auf Art. 51 UNCh. Ob sich daraus jedoch ein Recht zur präventiven Selbstverteidigung ableiten lässt, ist in Anbetracht der Voraussetzung eines „bewaffneten Angriffs“ in Art. 51 UNCh hoch umstritten[2]. Und selbst wenn man ein solches Recht anerkennt, muss die vorliegende Bedrohung nach der Caroline-Formel zumindest unmittelbarer Natur sein. Angesichts des aktuellen Fortschritts seines Atomprogramms ist der Iran von der potentiellen Entwicklung einer Atombombe jedoch noch mindestens ein Jahr entfernt und erfüllt so kaum die Anforderungen zeitlicher Unmittelbarkeit[3]. Der Ansatz der sog. Bush-Doktrin, nachdem bereits eine allgemeine Bedrohungslage ausreicht (präemptive Selbstverteidigung) wird richtiger Weise ganz überwiegend abgelehnt[4]. Ein Militärschlag gegen das Land ist folglich aus einer völkerrechtlichen Perspektive ausgeschlossen.
Dass ein Staat wie Israel im ähnlich gelagerten Fall der Bombardierung eines syrischen Nuklearreaktors 2007 in Verletzung seiner bedeutendsten Pflichten aus der UN-Charta dennoch zu militärischen Mitteln greift, offenbart das tiefgreifende Misstrauen gegenüber der Wirksamkeit der im Regime nuklearer Nichtverbreitung (NPT-Vertrag) vorgesehenen Verfahren [Link: Erläuterung der Funktionsweise des NPT-Regimes]. Sehen sich Staaten gezwungen, aufgrund struktureller Mängel im System aus NPT und IAEA zu unilateraler Gewalt zu greifen, ist nicht nur das Nonproliferationsregime, sondern die Akzeptanz von internationalem Recht als einzig legitimer Ordnungsfaktor zwischenstaatlicher Beziehungen insgesamt in Gefahr. Das im Zentrum des internationalen Rechts stehende Gewaltverbot soweit zu biegen, dass es Staaten ein umfangreiches präemptives Gewaltanwendungsrecht zugestünde, wäre jedoch die falsche Antwort auf ein richtig erkanntes Problem[5].
Alexander Pyka
[1] Zu Erfolgsaussichten eines Militärschlags: UK House of Commons – Foreign Affairs Committee, 5th Report of Session, Global Security: Iran, 2007-2008, S. 22 Rn. 15-17.
[2] Für eine umfassende Darstellung des Meinungsstands zB Hobe, 2008, S. 337-340.
[3] http://www.zeit.de/politik/ausland/2012-01/panetta-iran-atombombe; andere Ansicht zB Greenblum, HJIL 2006, S. 55 (57 ff.); Maggs, SLR 2007, S. 465 (495); i.E. auch Benard/Leaf, STNLR 2010, S. 1396 (1435 f., 1440 ff.).
[4] Siehe nur Hofmann, GYIL 2002, S. 9 (31 ff.); Murswiek, NJW 2003, S. 1014 (1018); Kirchhof, 2004, S. 206 (213); Dupuy/Tomuschat, 2004, S. 247 (248 f.); Stelter, 2007, S. 240.
[5] So aber zB Greenblum, HJIL 2006, S. 55 (57 ff.), der am Beispiel Israel-Iran darstellen will, dass das Völkerrecht sich selbst obsolet macht, gesteht es Staaten derartige Rechte nicht zu.