Wer heute durch das Stadtzentrum von Kairo läuft, kann ihnen kaum entgehen: Hunderte verschiedene Graffiti verzieren hier die Wände. Manche sind einfache Stancils, andere aufwändige Wandgemälde, an denen schon seit Monaten gearbeitet wird. Manche haben klare politische Botschaften, andere erinnern an Opfer der Revolution. Am häufigsten ist der Spruch „Nieder mit der Militärherrschaft“ oder einfach „NO SCAF“ zu lesen, beide beziehen sich auf den Widerstand gegen den herrschenden Militärrat.
Ein Demonstrant trifft eine Ballerina auf einer Mauer in der Nähe des Tahrirplatzes.
Ich möchte mehr über diese politisierte Kunst in Ägypten erfahren und stoße bei Facebook auf einen der Sprayer. Er nennt sich selbst „El-Zeft“. Er antwortet rasch auf meine Nachricht und schon wenige Tage später treffe ich ihn in einem kleinen Café in Downtown Kairo. Er begrüßt mich mit „Wie geht’s?“ – er hat vor kurzem ein paar Wochen in Deutschland verbracht. Er war auch in Berlin, die dortigen Graffiti haben ihn sehr beeindruckt. Zudem studiert er an der Deutschen Universität in Kairo (GUC) und hat über Deutschland, wie die allermeisten Ägypter, nur positives zu berichten. Sein Traum ist es, als Ingenieur in Deutschland zu arbeiten. In der Graffiti-Szene gehört Omar, wie El-Zeft wirklich heißt, mit 21 Jahren zu den jüngsten.
Politisiert wurde Omar aber nicht erst durch die ägyptische Revolution, sondern durch den Nahostkonflikt. Besonders beeindruckt hat ihn die Arbeit des britischen Street-Artists Banksy an der Mauer, die Israel um manche palästinensischen Städte errichtet hat.
Eine Schutzmauer des Militärs, die so bemalt wurde, dass man glaubt, hindurchsehen zu können.
Er möchte keine politische Botschaft verbreiten, nicht urteilen. Er sagt, dass er wie Banksy in Palästina, Hoffnung verbreiten möchte. Daher hat er einen großen Regenbogen und Szenen des Alltags auf eine Schutzmauer es Militärs gesprayt. Vor allem möchte er daran erinnern, dass eine Revolution stattgefunden hat. Omar ist überzeugt davon, dass die Revolution für sein Land positiv sein wird, auch wenn es 10 oder 20 Jahre dauern wird. Von der verbreiteten Enttäuschung über eine vielleicht gescheiterte Revolution möchte er sich nicht anstecken lassen.
Er sagt aber auch, dass sich die Graffiti nur auf wenige Stadtteile Kairo beschränken. Zudem ist die Szene in Kairo noch sehr jung, erst nach dem Ende von Mubaraks Polizeistaat war es möglich diese Kunstform zu nutzen. Mittlerweile, so Omar, ist es jedoch fast ein sportlicher Wettkampf mit der Polizei: An einem Tag überstreicht die Polizei die Graffiti, in der nächsten Nacht kommen die Künstler zurück und nutzen die neu entstandenen weißen Flächen für neue Kunstwerke. Omar bezeichnet diese Versuche der Polizei als große Motivation erneut zu kommen. Vor wenigen Wochen haben sich mehrere Künstler, unter ihnen auch Omar, abgesprochen und alle Mauern, die das Militär in den Straßen von Kairo zum Schutz wichtiger Gebäude aufgebaut hat, mit neuen Graffiti bemalt. Entstanden sind so einige sehr beeindruckende Kunstwerke.
Eine Mauer im Stadtzentrum von Kairo, bemalt von El-Zeft und seinen Freunden.
Auf der Straße stoßen die Graffiti auf sehr positive Resonanz, immer wieder werden die Bilder photographiert. Wenn ein neues Werk entsteht, versammelt sich stets eine kleine Menschenmenge und photographiert, beobachtet und diskutiert. Wer hier malt oder sprayt gehört jedoch in der Regel zur gehobenen Mittelschicht. Diese wichtigste Gruppe der jugendlichen Aktivisten hat sich vom eigentlichen Tahrir-Platz in die kleineren Seitenstraßen zurückgezogen. Auch die Methoden des Protests haben sich geändert. Sie sind subtiler geworden. So setzen die Graffiti ein Zeichen für die erfolgreiche Revolution und markieren, wem der öffentliche Raum nun gehört.
Thomas Claes
Thomas Claes is a graduate student of Middle Eastern Studies at Freie Universität Berlin, Germany. In 2011/12 he studied at the American University in Cairo where he conducted research on civil society and state-religion interactions in Egypt.
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