Wirtschaftliche Potenziale im Iran im Spiegel der aktuellen Entwicklungen

Wirtschaftliche Potenziale im Iran im Spiegel der aktuellen Entwicklungen

Martin Herrenknecht, erfahrener Unternehmer und immerwährender Impulsgeber der deutschen Wirtschaft, war im Mai 2015 wieder in Teheran. Er sieht große Chancen in den Bereichen Ausbau der Metro, Erdöl und Bergbau. Mit 70 Jahren Erfahrung erwartet er persönlich die Aufhebung der Sanktionen, „die deutsche Industrie sollte bis zum Jahresende 2015 für verstärkte Aktivitäten im Iran vorbereitet sein“.

Es gibt Bewegung in diesem vielen von uns leider so fremd gewordenen Land. Auch der seit neun Monaten im Amt befindliche iranische Botschafter S.E. Ali Majedi versichert den klaren Willen der Regierung zur Stärkung und Stabilisierung der Wirtschaft einschließlich des privaten Sektors. Deutschland steht 2014 mit 6 Milliarden Euro Ein- und Ausfuhren aus der Sicht Irans an 5. Stelle als Handelspartner. Ziel könnten zunächst 9 bis 10 Milliarden Euro jährliches Handelsvolumen sein. Aber auch beim offiziellen Wegfall der SanktionenWirtschaftliche Potenziale im Iran im Spiegel der aktuellen Entwicklungen blieben Risiken. Wie werden sich die Vereinigten Staaten tatsächlich verhalten, wird es nicht auf absehbare Zeit doch versteckte Vorbehalte zu Geschäften mit dem Iran geben? Dies beschäftigt vor allem Unternehmen mit starken Interessen in den USA, die wegen neuer und kleiner Schritte im Iran ihr US-Geschäft wohl nicht gefährden werden. Das Misstrauen auf beiden Seiten ist groß. Europa und die USA müssen auch die Interessen der Nachbarn Irans berücksichtigen. Die Auseinandersetzung des Iran mit Saudi-Arabien ist nicht förderlich für den Befriedungsprozess. In beiden Ländern gibt es starke Kräfte gegen die geplanten Vereinbarungen. Dem iranischen Außenminister Javad Zarif wird innenpolitisch selbst sein 15-minütiger Spaziergang mit dem US-amerikanischen Außenminister John Kerry während der Verhandlungen in Genf als unzulässige Annäherung an den internationalen Feind vorgehalten. Der iranische Präsident Rohani betont das nationale Interesse am geschlossenen Atom-Abkommen, zustimmen muss aber auch die religiöse Führung unter Ali Khamenei.

Hauptziel der Islamischen Republik Iran ist die Aufhebung aller Sanktionen. Die in Wien getroffene Vereinbarung sieht dies in einem längeren Zeitplan unter strengen Voraussetzungen vor. Vorbehalte erheben unter anderem der US-Kongress und die Regierung Israels. Die deutsche Regierung ist der Auffassung, dass der Abschluss der Vereinbarung zur Verbesserung der wirtschaftlichen Situation auch zur Verbesserung der regionalen Situation und Sicherheit führen würde. Die Sicherheit Israels bleibt natürlich auch Ziel der deutschen Regierung. Die Einbeziehung des Iran in den Kampf gegen den IS bildet dabei sicher einen ambivalenten Aspekt. Was wird der tatsächliche iranische Machtfaktor, die religiöse Führung, hier zulassen? Wie viel wirtschaftliche Freiheit wird zugelassen werden im religiös dominierten Land? Einige Daten zeigen die unverändert schwierige Situation des Landes: Die Inflationsrate betrug 2013 40 Prozent laut IWF und liegt heute bei offiziell 15 Prozent. Der öffentliche Sektor wurde auch als Folge der Sanktionen stark ausgeweitet. Ziel der jetzigen Regierung unter Präsident Hassan Rohani ist unter anderem das Wachstum des privaten Bereichs. Bei einer Einwohnerzahl von knapp 80 Millionen liegt die offizielle Arbeitslosenrate 2014 bei 14 Prozent, versteckt ist die Zahl wohl doppelt so hoch. 50 Prozent der Jungakademiker sind arbeitslos, noch höher wird der Anteil bei weiblichen Arbeitskräften sein. Das Wirtschaftswachstum war zuletzt bis 2013 negativ, 2014 wohl plus 1,5 Prozent laut IWF. Hoffnung besteht auf eine Zunahme um 2,5 Prozent im Jahr 2015. Der niedrige Ölpreis belastet die Wirtschaft und führt auch zum Rückgang der Devisenreserven, diese betragen heute wohl um die 60 Milliarternationalisation. den US-Dollar. Hinzu kommen 80 Millionen US-Dollar im Ausland eingefrorene Gelder, deren Freigabe in Schritten erwartet wird. Für Investoren belastend bleiben auch die bekannte Intransparenz der Prozesse, Inkompetenz, Korruption und Rechtsunsicherheit. Iran liegt auf Platz 136 von 174 des Korruptionsindexes von Transparency International.

China – das sollte nicht vergessen werden – war wirtschaftlich eindeutiger Nutznießer der Sanktionspolitik der letzten zehn bis zwölf Jahre. China geht seinen Weg der Außenpolitik und sanktionierte nicht, es ist damit heute neben den VAE – über diese wurden wohl in geringem Umfang auch westliche Güter abgewickelt – der mit weitem Abstand wichtigste Handelspartner des Iran. Öl auch gegen Investitionsgüter – es liegt im Interesse westlicher Industriestaaten, hier einen Ausgleich zu schaffen. Nach iranischer Quelle betrugen Imund Export nach China 2013 rund 17 Milliarden US-Dollar, nach Deutschland knapp drei Milliarden US-Dollar. Aktiv im Iran sind auch bereits jetzt amerikanische Unternehmen wie Coca-Cola und Apple; die Sanktionen lassen dies zu.

Deutschland hatte bis zum Ende der Siebzigerjahre exzellente wirtschaftliche Beziehungen zur persischen Republik. Das Land gehört, was seine Ressourcen angeht, zu den reichsten der Welt. Nach Informationen des Geschäftsführers der Deutsch-Iranischen Handelskammer in Teheran, Daniel Bernbeck, gibt es dort heute nur noch 90 deutsche Firmen mit eigener Niederlassung und etwa 1000 Unternehmen mit iranischen Vertretungen. Circa 400 Deutsche leben im Iran, davon 250 als Ehefrauen iranischer Männer.

Fragen der Finanzierung müssen geklärt werden. Heute findet sich in Deutschland kaum eine Bank mit Bereitschaft zur Finanzierung auch eines bisher erlaubten Iran-Geschäftes. Die Sanktionen des Finanzsektors wirken. Wenn ein Geschäft erfolgt, dann im Bereich baren Verkehrs oder gegebenenfalls über Bankkonten iranischer Gesellschaften in Indien oder China. Wie schnell eine formale Aufhebung der Sanktionen eine Verbesserung bringt, ist noch offen. Nach Informationen des Wirtschaftsministeriums bereitet sich die Hermes-Kreditversicherung intensiv auf eine Änderung vor und stünde bei Aufhebung wohl bereits kurzfristig zur Finanzierung insbesondere durch „Letter of Credit“ bereit. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel kündigte während seines Iranbesuchs im Juli die Wiederaufnahme der Tätigkeit der gemeinsamen gemischten Wirtschaftskommission an, die zuletzt 2001 tagte. Wie lange kann es bei Erfolg dauern, bis sich die Beziehungen wieder verbessern? Da doch viele auch persönliche Beziehungen aus der Vergangenheit noch bestehen, gibt es Stimmen, die von der Möglichkeit einer schnellen Verbesserung sprechen, auch im Verhältnis zum Beispiel zu französischen und italienischen Unternehmen. Welche Sektoren sind betroffen? Vorrangig wohl Automotive, Energie,Wasser, Medizintechnik – die iranische Medizintechnik hat im Nahen und Mittleren Osten einen guten Ruf – sowie Gesundheitswesen,Tourismus, Maschinenbau und Investitionsgüter. Viele Produktionsanlagen stammen noch aus den Siebzigerjahren. Vielleicht werden im Sinne von Martin Herrenknecht Ende 2015 tatsächlich vorläufige Antworten vorliegen. Er wird sicher bereit sein, folgendem Satz Robert Arnotts zu folgen: „In investing, what is comfortable is rarely profitable“. Die religiösen Führer werden allerdings den Rahmen für eine Stabilität gewährleisten müssen, die ausländischen Unternehmen werden zum Teil abwarten und Stabilität über einen gewissen Zeitraum erwarten.

Der Artikel ist Bestandteil von IFAIR’s Kooperation mit dem Diplomatischen Magazin und erschien dort zuerst in der Ausgabe 09/2015.

© Titelbild: Iranian tent factory, Bob McCaffrey (flickr.com)