“Diaspora Diplomatie” als außenpolitische Strategie

“Diaspora Diplomatie” als außenpolitische Strategie

Über die letzten Jahre hinweg haben verschiedene Staaten administrative und diplomatische Kapazitäten entwickelt, um Einflussmöglichkeiten und Kommunikationskanäle zu ihren Diasporagemeinschaften systematisch aufzubauen. Zu diesen Staaten zählt beispielsweise Indien, mit dem im Jahr 2004 ins Leben gerufenen Ministry of Overseas Indian Affairs, ebenso wie das im selben Jahr in Mali etablierte Ministry of Malians Abroad and African Integration, und die im Jahr 2010 durch die Türkei geschaffene Presidency for Turks Abroad and Related Communities. Diese Institutionalisierung der „Diaspora-Diplomatie“, die hier exemplarisch zur Sprache kommt und sich in einen breiteren Trend einreihen lässt, ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass die Diasporagemeinschaft eines bestimmten Staates als Subjekt des außenpolitischen Interesses und damit verbundener staatlicher Aktivitäten erheblich an Bedeutung gewonnen hat.

Allerdings ist die wissenschaftliche Definition und Konzeption von Diaspora nicht eindeutig und variiert zuweilen je nach Perspektive der Untersuchung. Gleichwohl können drei Hauptmerkmale festgestellt werden. So ist eine Diaspora als Resultat einer ausdauernden Migration zu verstehen, wobei die Migranten, im Gastland angekommen, ihre ethnisch-kulturelle Identität größtenteils bewahren und eine idealisierte Vorstellung von ihrem Heimatland entwickeln. Gleichzeitig geht dies zumeist mit der Herausbildung von Diaspora-Organisationen im Gastland einher, um sowohl zur kollektiven Identitätsbewahrung beizutragen, aber auch die politische Mobilisierbarkeit der eigenen Gruppe zu stärken. Letzteres umfasst die Möglichkeit, Einfluss auf politische Akteure im Heimat- und Gastland zunehmen.

In diesem Kontext erscheint die Beobachtung zu den intensivierten staatlichen Aktivitäten bezüglich ihrer Diasporagemeinschaften eine neue Dimension zu erhalten. Die an Diasporamitglieder und Migranten im Allgemeinen stets herangetragene Erwartung, zur ökonomischen Entwicklung des Heimatlandes beizutragen, zum Beispiel in Form von Geldüberweisungen, wird zunehmend durch eine politische Komponente erweitert.
Dabei wenden Heimatstaaten verschiedene außenpolitische Strategien an, die unter dem Begriff der „Diaspora-Diplomatie“ zusammengefasst werden können. Diese Strategien können in ihrer Art und dem Grad an Legitimität variieren. Ein in erheblichem Maße problematisches Verständnis soll allerdings hier hervorgehoben werden. Dieses hat vornehmlich das Ziel, durch die Verbreitung bestimmter nationalistischer und religiöser Narrative sowie mittels Praktiken, wie der Organisation von kulturellen Festen oder dem Abhalten von Auslandswahlen, Loyalität gegenüber dem Heimatstaat zu generieren und diese schließlich in politischen Einfluss umzuwandeln. Dieses auf die Herstellung von Loyalität basierende Konzept zieht konsequenterweise den Export von Freund-Feind-Schemata des politischen Diskurses des Heimatlandes nach sich, das in dem Bestreben kulminiert, die „loyalen“ Diasporamitglieder vor dem Einfluss der politischen Dissidenten zu schützen. Die Folge einer solchen ideellen Grundlage ist der vermehrte Einsatz von Sicherheitsmaßnahmen im Umgang mit der Diaspora, wie der Überwachung von politischen Dissidenten im Ausland.

Es ist empfehlenswert, dass in Ländern mit einer großen Anzahl an verschiedenen Diasporagemeinschaften, wie Deutschland, der Politik der Diaspora-Diplomatie sowohl in der politischen als auch in der akademischen Debatte größere Aufmerksamkeit gewidmet wird.

 

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Novemberausgabe (2018) des Diplomatischen Magazins.

© Titelbild: @ mauro mora (unsplash.com)

Yunus Emre Ok studiert derzeit im Master Politikwissenschaft und Internationale Beziehungen an der Freien Universität Berlin und am King`s College London. Er absolvierte ein Praktikum am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik in Hamburg sowie am Zentrum für Strategische Studien des türkischen Außenministeriums. Bei IFAIR ist der Autor für die Thinktank-Aktivitäten im Regionalbereich Osteuropa und Eurasien zuständig.