Die aktuelle Konfliktlage im Kamerun

Die aktuelle Konfliktlage im Kamerun

„Afrika im Kleinen“ – der Kamerun ist ein Staat in Zentralafrika, in dem die unterschiedlichsten Kulturen, Lebensformen, Religionen und Sprachen unter den 25 Millionen Einwohnern zusammentreffen. Ebenso vielfältig ist die Landschaft des Kamerun – Gebirge, Meeresküste und Wüste zeigen wie gegensätzlich die Natur ist. Schnell kommt jedoch die Frage auf: Sind all diese Gegensätze die größte Stärke des Kamerun oder führen sie inzwischen zu immer neuen Interessenskonflikten?

Nach dem ersten Weltkrieg wurde der Kamerun 1919 aufgeteilt. Frankreich erhielt ein Mandat zur Verwaltung von vier Fünftel des Landes und Großbritannien von einem Fünftel. Nach wiederholten Aufständen gegen die französische Kolonialmacht erlangte der französische Teil am 1. Januar 1960 seine Unabhängigkeit. Als Kameruns erster Präsident wurde Ahmadou Ahidjo von Frankreich einberufen, der seine Außenpolitik sodann vor allem nach den Interessen Frankreichs ausrichtete. Am 1. Oktober 1961 erhielt auch der britische Teil des Kameruns seine Unabhängigkeit. Da die Briten aber die vollständige Unabhängigkeit versagten, schloss sich der nördliche Teil des britischen Mandatsgebietes an Nigeria an, während sich der südliche Teil für einen Anschluss an die Republik Kamerun entschied.

Jedoch ist der Kamerun noch immer ein geteilter Staat, die beiden Teile – der ehemalige französische sowie der bisherige nördliche britische Teil – haben nie vollkommen zusammengefunden. Während sich der frankophone Teil noch immer an Frankreich orientiert, identifiziert sich der anglophone Teil mit dem Commonwealth. Und auch bei den Anglophonen und Frankophonen handelt es sich nicht um homogene Blöcke, vielmehr existieren innerhalb dieser Gruppen wiederum interethnische Konflikte.80 Prozent der kamerunischen Bevölkerung sind französischsprachig und nur 20 Prozent englischsprachig. Obwohl aufgrund der zurückliegenden Historie nicht nur Französisch, sondern auch Englisch als offizielle Amtssprache im Kamerun anerkannt ist, wird die englische Sprache im tagtäglichen Umgang nur selten verwendet. So erfolgen alle Ansprachen des derzeitigen Präsidenten Paul Biya in französischer Sprache, sind alle Gesetze in französischer Sprache verfasst und finden alle erforderlichen Behördengänge auf Französisch statt.

Derzeit befindet sich der Kamerun in einer Ausnahmesituation. Lange Zeit der Stabilisator in einer instabilen Region, wird er gegenwärtig von zwei Konfliktfeldern beherrscht.

 

Die näher rückende Bedrohung durch Boko Haram

Schon seit Jahren herrscht im nordöstlichen Teil Nigerias der Terrorismus der Organisation Boko Haram, die angibt im Namen der Religion zu kämpfen. Tatsächlich geht Boko Haram auf eine religiöse Bewegung zurück, die ursprünglich jedoch keineswegs Terrorismus als ein legitimes Mittel akzeptierte. Viele Jahre gilt der Kamerun bereits als Rückzugsort für Boko Haram. Die Organisation wurde von den Kameruner Behörden im Sinne eines unausgesprochenen wechselseitigen Nichtangriffspaktes toleriert. Seit 2013 hat die Organisation ihre Angriffe sodann aber auch auf den Kamerun selbst ausgedehnt.

Im Mai 2014 häuften sich die Konfrontationen, als Kameruns Präsident Paul Biya der Organisation förmlich den Krieg erklärte. Im Grenzgebiet zu Nigeria kam es daraufhin vermehrt zu Anschlägen und militärischen Konfrontationen. Anfang des Jahres 2015 wurden mehr als 80 Dorfbewohner aus der Region Mokolo von Boko Haram entführt und deren Dörfer zerstört. Im Juli desselben Jahres kam es zu einem Selbstmordattentat in Fotokol und innerhalb einer Woche zu zwei weiteren Attentaten in Maroua. Die Hauptstadt der kamerunischen Region Extrême-Nord wurde erstmals selbst zum Anschlagsziel. Es waren die ersten Anschläge im Landesinneren des Kamerun. Bis zum Ende des Jahres 2015 kam es zu mindestens 23 weiteren Selbstmordanschlägen mit mehr als 150 Toten, von denen die Mehrzahl von Kindern verübt wurden.

Beunruhigend sind seitdem die zunehmende Verankerung und die Rekrutierung von neuen Mitgliedern im Kamerun. Problemtisch ist hierbei insbesondere, dass die Menschen keineswegs immer von Boko Haram zur Teilnahme in der Organisation gezwungen werden. Vielmehr führen finanzielle sowie soziale Anreize oder religiös-ideologische Ansichten dazu, dass sich immer mehr Menschen der Terrororganisation anschließen. Jugendliche ohne Perspektive bekommen hier eine Möglichkeit auf Beschäftigung, Einkommen und soziale Anerkennung – im alltäglichen Leben im Kamerun derzeit außer Reichweite.

Obwohl die internationale Krisenwahrnehmung sich derzeit auf den Konflikt in der anglophonen Region Kameruns fokussiert, setzt die islamistische Terrororganisation Boko Haram ihre Selbstmordanschläge im Norden des Landes fort, die zahlreiche Opfer unter der Zivilbevölkerung fordern. Die Attentate führten und führen noch immer zu einer zunehmenden Destabilisierung der nördlichen Regionen. Auf mittelfristige Sicht werden die Tätigkeiten der Terrororganisation das innen- und sicherheitspolitische Vorgehen des Kameruns bestimmen. Hieraus ergibt sich für den Staat eine enorme Herausforderung, denn die politische sowie strukturelle Lage des Kameruns erscheint sehr ungewiss – was für eine erhöhte Konfliktanfälligkeit des Staates sorgt.

Unterdessen verschärft sich auch die wirtschaftliche Lage im Kamerun. Da im Norden etwa 80 Prozent aller Konsumgüter aus Nigeria importiert werden, haben Grenzschließungen und andere Restriktionen in Folge der grenznahen Attentate negative Auswirkungen auf den Handel. Demzufolge stagniert der Kamerun nicht nur sozial, sondern auch wirtschaftlich trotz seines Ressourcenreichtums.

 

Die „Republik Ambazonien“

Immer wieder ist die Ungleichberechtigung zwischen dem anglophonen und dem frankophonen Teil des Kameruns Auslöser für aufkeimende Konflikte innerhalb der Gesellschaft. Weitere Konfliktauslöser bzw. -verstärker sind vor allem die Korruption und das Staatsversagen, insbesondere im Hinblick auf das Bildungs- und Gesundheitssystem. Diese werden in dem vorliegenden Artikel allerdings nicht näher betrachtet. Bereits nach der Vereinigung kam es zu Autonomiebestrebungen des anglophonen Teils, die sich seit 1990 verstärkt haben. In der Folge wurde 1995 der Southern Cameroons National Council (SCNC) gegründet, der für die Loslösung des englischsprachigen Teils vom Kamerun und die Gründung einer unabhängigen „Republik Ambazonien“ eintritt.

Aufgrund der Geringschätzung und der anhaltenden Vernachlässigung vonseiten der Regierung kommt es insbesondere unter der jungen anglophonen Bevölkerung zu vermehrten Protesten und Unzufriedenheit. So protestierten 2005 englischsprachige Studenten an den Universitäten für bessere Studienbedingungen und gegen die Diskriminierung englischsprachiger Studien. Die Perspektivlosigkeit der Jugend und die Wut über die Ungleichheit führte 2008 zu weiteren Protesten in Douala, Yaoundé und weiteren Städten im Westen Kameruns.

Im Jahr 2016 fanden dann zunächst friedliche Proteste von Anwälten und Lehrern im englischsprachigen Raum statt, die mehr Anerkennung der englischen Sprache und Kultur forderten. Daraufhin schickte die Regierung das Militär um die Proteste brutal niederschlagen zu lassen. Anfang des Jahres 2017 wurde für über 90 Tage das Internet in der anglophonen Region blockiert – ein essentieller Eingriff in den Alltag vieler Kameruner, die beispielsweise für Geldtransfers auf den Internetzugang angewiesen sind. Daraufhin griffen auch die Separatisten gewaltsam ein. Seitdem überbieten sich die Regierung und die Separatisten – die sogenannten „Amba Boys“ – in ihren Gewalttaten, deren Opfer allzu oft die Zivilbevölkerung ist. Ganze Dörfer wurden bereits niedergebrannt, tausende Menschen getötet und etwa 300.000 Menschen sind bisher geflohen. Die Zivilbevölkerung weiß nicht, wie sie sich verhalten soll: Wer als Lehrer den Schulboykott unterstützt, wird von der Regierung bestraft und wer den Unterricht wieder aufnimmt, wird seither von den Separatisten attackiert.

Als es im November 2018 zu einer Entführung von über 70 Schülern*innen durch bewaffnete Männer in Bamenda kam, beschuldigte Paul Biya die Separatisten dieser Tat und bezeichnete die Bewegung als „Terrorbande“ – zugleich der Vorwand für ein noch härteres Vorgehen gegen die Proteste. Mitte November befanden sich alle Entführten wieder in Freiheit. Bisher hatte nur die Terrororganisation Boko Haram zu derartigen Mitteln gegriffen. Ergibt sich hieraus eine ganz neue Dimension des Konfliktes zwischen der Regierung und den Separatisten?

Doch nicht nur die englischsprachige Bevölkerung protestiert. Mittlerweile finden gleichzeitig auch Demonstrationen im frankophonen Teil des Kameruns gegen eine mögliche Abspaltung statt. Jenseits der strukturellen Bedingungen trägt vor allem die aktuelle politische Lage zu einem erhöhten Krisenpotential bei. Der seit 1982 regierende Präsident Paul Biya lässt die Bevölkerung in völliger Ungewissheit über seine Nachfolge und die personelle sowie institutionelle Zukunft des Kamerun.

Der ehemals vergleichsweise stabile Kamerun befindet sich demnach in einer schwierigen Situation von zunehmendem Konfliktausmaß, wirtschaftlicher Stagnation sowie steigender politischer Ungewissheit. Immer wieder neu aufkeimende Interessenskonflikte zwischen dem anglophonen und dem frankophonen Bevölkerungsteil sowie die konstante Bedrohung durch Boko Haram schwächen den Kamerun. Der Staat ist eben nicht in der Lage seine Vielfalt als Stärke zu nutzen.

 

Literaturhinweise

Dokumentation des BBC online unter: https://www.youtube.com/watch?v=ct_SLnAGDuM

Tull, Denis M. (2015): Kamerun und Boko Haram, SWP-Aktuell 76 August 2015, online unter: https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2015A76_tll.pdf.