Interview mit Kristina Lunz

Interview mit Kristina Lunz

Kristina Lunz ist Co-CEO und Mitbegründerin des Centre for Feminist Foreign Policy (CFFP), eine internationale Forschungs- und Interessensvertretung, sowie Think Tank zum Thema feministische Außenpolitik. 2016 gegründet und in Berlin und London ansässig, verfolgt das CFFP die Vision, einen intersektional feministischen Ansatz in der globalen Außenpolitik zu implementieren.

Wir durften sie zu ihrem Einsatz für eine feministische Außenpolitik, sowie der Arbeit und den Zielen, die sie und ihr Team des CFFP haben, befragen.

Der zuvor veröffentlichte Artikel über feministische Außenpolitik findet sich hier.

Das Interview führte Janine Röttgerkamp.

IFAIR: Zum Einstieg, Kristina, definiere doch bitte nochmal kurz in eigenen Worten was eine feministische Außenpolitik ausmacht.
KL: Gerne. Feministische Außenpolitik definieren wir beim Centre for Feminist Foreign Policy als den Versuch patriarchale Strukturen in Außen- und Sicherheitspolitik zu zerschlagen. Die Außen- und Sicherheitspolitik ist wie alle Bereiche in unserer Gesellschaft seit tausenden von Jahren patriarchal geprägt. Das heißt Themen und Eigenschaften wie Dominanz, Unterdrückung und vor allem militärische Stärke dominieren, während Menschenrechte – und hier vor allem die Rechte politischer Minderheiten wie Frauen und LGBTQI-Personen – keinen so hohen Stellenwert einnehmen. Der realpolitische Ansatz, also die Annahme, dass auf staatlicher Ebene Anarchie herrscht, weil es keine Supraregierung gibt, führt zu diesen Strategien der Dominanz und Kontrolle. Und das wollen wir ändern. Durch Forschung, u.a. von Valerie Hudson, wissen wir, dass der nachhaltigste Faktor dahingehend, ob ein Land nach innen und außen gewaltbereit ist, das Niveau an Gleichberechtigung ist. Das bedeutet, dass es ohne einen intersektional feministischen Ansatz in der Außenpolitik keinen nachhaltigen Frieden geben kann.

IFAIR: Die ersten Forderungen von Frauen zu Außenpolitik sind auch heute noch aktuell. Welche Forderungen waren das und erkläre auch gerne, was generell die Forderungen einer feministischen Außenpolitik sind?
KL: Genau diese erste Versammlung, die du ansprichst, fand 1915 in Den Haag statt, als etwa 1500 Feministinnen aus der ganzen Welt zusammenkamen, um ihren Unmut über den Krieg auszudrücken. Sie haben am Ende zwanzig Forderungen, die sehr aktuell sind, aufgestellt. Eine der wichtigsten, welche historisch gesehen das Fundament von feministischen Bemühungen in Außen- und Sicherheitspolitik ist, ist die Forderung nach der Zerschlagung des industrial military complexes. Das bedeutet, dass es keinen wirklichen Frieden geben wird, solange ein System Unternehmen Gewinne aus der Proliferation von Waffen ermöglicht, also solange aus Kriegen und Konflikten Profite geschlagen werden können. Außerdem haben die Frauen damals die Demokratisierung von Außenpolitik und die Mediation als wichtigstes Mittel der Konfliktlösung gefordert.

IFAIR: Wie ging es nach der Versammlung in Den Haag weiter?
KL: Die Versammlung von 1915 zog dann 1917 eine Folgekonferenz in Zürich nach sich, aus der unter anderem die Women’s International League for Peace and Freedom (WILPF) hervorgegangen ist. Viele der Feministinnen, die in dieser Tradition stehen, haben auch maßgeblich zum Nuclear Ban Treaty beigetragen oder zum Arms Trade Treaty, der als erster internationaler Vertrag zum Waffenhandel auch eine Provision zu gender based violence enthält. In dieser über hundertjährigen Tradition und auf den Schultern dieser Feminist:innen in Außen- und Sicherheitspolitik stehen dann auch Staaten wie Schweden – das Land führte 2014 eine feministische Außenpolitik ein – oder Kanada, welches gerade an seinem white paper zu FFP arbeitet, oder Mexiko und Spanien.

IFAIR: Du hast erwähnt, dass Länder, in denen mehr Gleichberechtigung herrscht friedlicher sind. Wieso ist das so?
KL: Also, eine Gesellschaft in der weiße und elitäre Männer die größte Macht und Ressourcen haben und alle anderen dem untergestellt sind, ist durch sehr starke Hierarchien, die wiederum durch Gewalt aufrechterhalten werden, gekennzeichnet. Männliche Gewalt gegen Frauen ist omnipräsent. Aber diese Hierarchien gibt es auch gegen andere politische Minderheiten. Wenn wir uns rassistische Gewalt anschauen, Gewalt gegenüber LGBTQI-Personen oder Menschen mit Behinderungen, dann dient das alles der Aufrechterhaltung der Macht weniger. Und wenn wir anfangen, diese Hierarchien zu zerschlagen und dadurch zu mehr Gleichberechtigung und zu einer fairen Gesellschaft für alle kommen, dann zerschlagen wir damit gleichzeitig auch diese Gewaltsysteme.

IFAIR: Es wurde zudem herausgefunden, dass Friedensprozesse länger halten, wenn Frauen in die Verhandlungen eingebunden sind.

KL: Genau, diese Studie ist eine Untersuchung von Jamille Bigio und Rachel Vogelstein, rausgebracht vom Council on Foreign Relations. Da kam heraus, dass Friedensprozesse länger halten, wenn Frauen und andere politische Minderheiten eingebunden sind. Das ist so, weil Transitionsprozesse, in denen Staaten nach Jahren der Gewalt zusammenkommen um ein neues Kapitel einzuläuten, nur dann wirklich funktionieren können, wenn wir alle Lebensrealitäten, Erfahrungen, Wünsche und Bedürfnisse von Menschen mit an den Tisch bringen. Politik kann am Ende einfach immer nur genau so gut sein, wie die Menschen dahinter, die diese politischen Entscheidungen treffen, auch divers sind.

IFAIR: Wie arbeitet ihr beim CFFP daran, dass diese wissenschaftlichen Belege in der Politik auch gehört und umgesetzt werden?

KL: Wir beim CFFP fokussieren uns auf sechs Hauptbereiche, die finden sich auf unserer Website bei Project Overview [Anm. d. Autorin: das sind Anti-Rassismus, feministische Nuklearpolitik, Demilitarisierung und Abrüstung, Klimagerechtigkeit, Bekämpfung von Anti-Gender Bewegungen, sowie Women, Peace and Security].
Wir schauen uns beispielsweise an, wie diese erwähnten Hierarchien durch Waffen und Militär aufrechterhalten werden. Da geht es um kleinere Waffen aber auch um Nuklearwaffen. Wir sind riesige Fans von und arbeiten immer wieder zusammen mit Beatrice Fihn und der International Campaign to Abolish Nuclear Weapons (ICAN). Im Auftrag von Greenpeace haben wir eine Studie gemacht zu ‘Exporting Violence and Inequality. The Interlinkages between German Arms Exports and Gender-Based Violence’. Sie enthält konkrete Forderungen, was Deutschland tun sollte, um diesem Status Quo von immer mehr Militarisierung und Waffengewalt entgegen zu treten. Denn auch Deutschland gibt, gemessen am Bundeshaushalt, mehr Geld für Verteidigung als zum Beispiel für Gesundheit aus. Und da haben wir jetzt gesehen, dass das nicht praktisch ist, wenn auf einmal eine globale Pandemie über einen herein rollt.

IFAIR: Hast du ein weiteres Beispiel?
KL: Wir schauen uns die Agenda „Women Peace and Security“ des UN Sicherheitsrates an und versuchen, zum Beispiel, einen größeren Fokus auf LGBTQI-Rechte einzubringen. Denn seit den 90ern beispielsweise, aber vor allem über die letzten vier bis sechs Jahre nochmal umso stärker, werden Frauen- und LGBTQI-Rechte auf internationaler Ebene wahnsinnig angegriffen und attackiert. Historisch geht das vom Vatikan aus, aber inzwischen auch von einigen Staaten. Ganz prominent ist aktuell die Türkei, aber auch die USA unter Trump, Brasilien, die Philippinen, Ungarn oder Polen. Es wird versucht, diese alte Weltordnung, durch Austritte aus Konventionen wie der Istanbul Konvention, durch die Errichtung von LGBTQI-freien Zonen oder durch die Einschränkung des Zugangs von Frauen zu reproduktiver Gesundheitsversorgung und damit des Rechts auf Selbstbestimmung, aufrechtzuerhalten.
Wir dagegen setzen uns für eine intersektional gerechte Weltordnung ein.

IFAIR: Wie hängt Feminist Foreign Policy mit Klimagerechtigkeit zusammen, also wieso ist die Klimakrise ein sicherheitspolitisches Risiko und welche Intersektionen spielen da rein?
KL: Climate justice bedeutet, dass die Klimakatastrophe nicht lediglich als Umweltthema angesehen wird, sondern als Thema von sozialer Gerechtigkeit. Uns ist wichtig, zu vermitteln, dass bei Krisen immer diejenigen am stärksten betroffen sind, die in der patriarchalen Gesellschaft ohnehin schon in den Hierarchien am weitesten unten sind. Die Bewegung für den Klimaschutz und für Klimagerechtigkeit ist historisch angeführt von Indigenous People und People of Color, die immer wieder darauf aufmerksam machen, dass die Zerstörung unseres Planeten vor allem eben diese Menschen betrifft.
Auch die Forschung von Valerie Hudson und Co. zeigt den Zusammenhang zwischen Gleichberechtigung und nachhaltigem Frieden auf. Sie verdeutlicht folgende Verbindung: Je patriarchaler eine Gesellschaft ist desto mehr zerstört sie auch die Umwelt. Das globale patriarchale System, das eng verbunden ist mit Kolonialismus und Kapitalismus, steht also im deutlichen Zusammenhang mit der Zerstörung unserer Lebensgrundlage. Das ist ein Sicherheitsproblem. Deswegen fokussiert sich feministische Außenpolitik auf das Konzept der menschlichen Sicherheit anstatt der staatlichen Sicherheit.
Dieser Nexus zwischen Klimagerechtigkeit und Sicherheit, wurde aber wahnsinnig vernachlässigt und über sehr viele Jahre haben Staaten wie Russland und China aber auch andere im Rat der Vereinten Nationen immer wieder argumentiert, das sei kein Problem. Aber da tut sich was. Deutschland zum Beispiel hat 2019/20 eine Informal Group zu Klimasicherheit im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gegründet.

IFAIR: Was sind Maßnahmen und Werkzeuge, die ihr beim CFFP mit feministischer Außenpolitik habt, um den aktuellen Status Quo zu ändern?
KL: Also wir machen das durch Analysen und konkrete Vorschläge, welche Ressourcen, institutionelle Änderungen oder politisches Leadership betreffen. Während der Pandemie haben wir für einen Planungsstab beim Auswärtigen Amt eine Analyse geschrieben, warum Covid-19 ein feministisches Anliegen ist und was getan werden sollte, um dem Pushback gegen Frauenrechte während der Pandemie international entgegen zu wirken. Wir geben konkrete Beispiele wie Rüstungsexportkontrollen geändert werden sollten, damit diese mit feministischen Werten einhergehen. Wir schreiben gerade an Forderungen für eine feministische Außenpolitik der neuen Regierung im Rahmen der Bundestagswahl. Diese beinhalten die Themen Migration, Klima und Abrüstung, Verteidigung der Menschenrechte aber auch institutionelle Änderungen.
Es muss endlich gesagt werden ‚ok we fucked up in the past, it’s time we get it right now‘.

IFAIR: Das war doch ein super Schlusswort! Danke Kristina für deine Zeit.

Kristina hat bereits für das Auswärtige Amt als Beraterin das Frauennetzwerk ‚Unidas‘ aufgebaut, war für UNDP in Myanmar und hat für die NGO ‚Sisma Mujer‘ in Kolumbien zum Friedensprozess gearbeitet. Sie ist außerdem Aktivistin, NGO-Gründerin und Initiatorin mehrerer erfolgreicher Kampagnen, wovon eine zu einer wichtigen Änderung des Sexualstrafrechts in Deutschland geführt hat. Kristina ist unter anderem Gates Foundation SDG Goalkeeper, Ashoka Fellow und BMW Foundation Responsible Leader und wurde 2019 auf die ‘30 under 30’ Liste des Forbes Magazin in Europa gesetzt sowie drei Monate später ebenfalls auf die DACH- 30 under 30 Liste von Forbes.