Urbanisierung – Ein Megatrend, der unsere Zukunft bestimmt
Die dominante Lebensform der Zukunft ist urban. Schon 2050 werden zwei Drittel aller Menschen in Städten leben. In den nächsten zwei Dekaden wird die Anzahl der Menschen in urbanen Räumen pro Woche um rund 1,4 Millionen Menschen anwachsen. Um so wichtiger sind die aktuell laufenden Vorbereitungen für die UN-Habitat III-Konferenz im Jahr 2016, auf der eine „New Urban Agenda“ verabschiedet werden soll.
Sowohl die Potenziale als auch die Herausforderungen globaler Entwicklung konzentrieren sich im Zuge der Urbanisierung zunehmend in Städten. Deshalb muss sich die fundamental wichtige Rolle der Urbanisierung in der deutschen Politik niederschlagen. Dabei sollten insbesondere zwei Herausforderungen im Fokus stehen: die Bekämpfung von Armut und die Transformation zur Nachhaltigkeit.
Diese beiden Themenkomplexe, Armutsminderung und Nachhaltigkeit, stellen uns in verschiedenen Städtetypen vor sehr unterschiedliche Herausforderungen – auf die es keine universell gültigen Antworten gibt. Sie müssen deshalb in Bezug auf die ganze Bandbreite existierender Städtetypen beantwortet werden, also beispielsweise mit Blick auf wild wuchernde oder schrumpfende Städte, Megacities, kleinere und mittlere Städte sowie fragile oder „failing cities“, die einen großen Mangel an politischer Steuerungsfähigkeit aufweisen.
In China gibt es viele Orte, in denen das Ländliche auf das Städtische trifft. Als Motoren des nationalen und globalen Wachstums generieren Städte rund 80 Prozent des weltweiten Bruttosozialprodukts. Gleichzeitig ist in den rasant wachsenden Städten die Minderung von Armut eine große Herausforderung. Bereits im Laufe der kommenden Generation wird jede dritte Person weltweit in informellen Siedlungen, also unter Bedingungen hoher Vulnerabilität, leben. Diese Zahl offenbart die zunehmenden Defizite an Wohnungsbau, städtischen Dienstleistungen, Infrastrukturen und Rechtsstaatlichkeit.
Das wirft die drängende Frage auf, wie Lebensbedingungen in informellen Siedlungen verbessert und gleichzeitig nachhaltiger gestaltet werden können. Kollaborative Ansätze, in denen Bewohner, Stadtverwaltungen und Mittlerorganisationen involviert sind, bieten eine Basis für realistische und lösungsorientierte Politikmaßnahmen und sollten besonders unterstützt werden. In der transnationalen Initiative „Slum Dwellers International“
sind Slumbewohner beispielsweise aktiv geworden, um im Rahmen einer solchen Kollaboration erfolgreich neuen, lebenswerten und sicheren Wohnraum zu schaffen.
Neben Armutsbekämpfung muss die Transformation zur Nachhaltigkeit im Zentrum stehen. In den Städten wird entschieden, ob diese Transformation – und damit der Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit – gelingt. Aktuell sind Städte bereits für rund 70 Prozent der globalen energiebezogenen Treibhausgasemissionen verantwortlich. Insgesamt sind Städte entscheidende Mitverursacher und gleichzeitig Betroffene globalen Wandels. Städte sind aber auch potenzielle Problemlöser, die über besondere Gestaltungs- und Innovationspotenziale verfügen.
Die große Bedeutung von Städten für die globale Entwicklung erfordert eine integrierte Perspektive und ein umfassendes Urbanisierungskonzept. Das Leitbild dafür sollte auf drei Säulen fußen: einem People-oriented-Ansatz, der das Augenmerk auf die Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner von Städten sowie deren Möglichkeiten zur Selbstentfaltung und Teilhabe legt; einem erweiterten Wohlfahrtsverständnis, das auch deren subjektives Wohlbefinden berücksichtigt; und Nachhaltigkeit im umfassenden Sinne.
Nachhaltigkeit erfordert die Berücksichtigung der planetaren Leitplanken, das heißt der Schadensgrenzen für globale Umweltveränderungen, deren Überschreiten intolerable Folgen mit sich brächte. Ein Beispiel für das vom Wissenschaftlichen Beirat für Globale Umweltveränderungen (WBGU) entwickelte Konzept planetarer Leitplanken ist die 2°C-Leitplanke in der internationalen Klimapolitik. Wenn Leitplanken überschritten werden, sind die Erhaltung natürlicher Lebensgrundlagen und somit auch Armutsbekämpfung gefährdet. Die Leitplanken müssen daher in einem überzeugenden Urbanisierungskonzept eine zentrale Rolle spielen.
Vor diesem Hintergrund gibt es vier entscheidende Handlungsfelder, die besonders umfassende Chancen und Risiken für globale Entwicklung mit sich bringen: erstens die räumliche Gestaltung von Städten, vor allem deren Kompaktheit, zweitens Infrastrukturen, insbesondere mit Blick auf Energie, Mobilität und Gebäude, drittens Wohlfahrt in Städten und viertens urbane Governance und Städte in der globalen Governance.
Aus der Perspektive globaler Nachhaltigkeit sind insbesondere die Kompaktheit von Städten sowie deren Infrastrukturen, vor allem mit Blick auf Energie, Gebäude und auf Mobilität, essenziell. Diese beiden Komponenten haben eine enorm hohe Leitplankenrelevanz und müssen daher im Fokus stehen – sie entscheiden über den Ressourcenverbrauch, den Druck auf die Ökosysteme und den Ausstoß von Treibhausgasen. Ein großes Problem ist, dass das aktuelle Wachstum der Städte unstrukturiert vor sich geht und auf motorisierten Privattransport ausgerichtet ist. Der Vergleich von Atlanta und Barcelona verdeutlicht in diesem Kontext dramatische Unterschiede. Der New Climate Economy Report 2014 betont, dass beide Städte gut 5 Millionen Einwohner haben, aber während sich Atlanta über mehr als 4.200 km2 ausdehnt und CO2-Emissionen für Transport von mehr als 7,5 Tonnen pro Kopf aufweist, ist Barcelona mit 162 km2 Fläche sehr viel kompakter und weist entsprechende CO2-Emissionen von nur 0,7 Tonnen pro Kopf auf. Zudem verfügt Barcelona, im Gegensatz zu Atlanta über ein leistungsfähiges öffentliches Verkehrssystem.
Kompaktere und besser vernetzte Städte mit nachhaltigen Mobilitätssystemen können also helfen, zentralen Nachhaltigkeitsherausforderungen zu begegnen. In dieser Hinsicht gibt es zahlreiche positive Beispiele. Globale Megastädte und „reife“ Städte wie London, Tokio und Hamburg haben sich in den letzten Jahren verdichtet, nicht zuletzt durch Investitionen in den öffentlichen Nahverkehr. Und Curitiba und Bogotá gehören zu den rund 160 Vorreiterstädten, die erfolgreiche Aushängeschilder für die Vorteile von Schnellbussystemen geworden sind, die Millionen von Passagieren verlässliche Transportmöglichkeiten bieten, Transportkosten sowie Stau und Gesundheitsrisiken senken und gleichzeitig die Sicherheit und Umweltqualität verbessern.
Insbesondere in Städten wird deutlich, dass das dritte Handlungsfeld – Wohlfahrt – nicht nur abhängig ist von ökonomischen Dimensionen wie dem Bruttosozialprodukt. Im Fokus müssen daher insbesondere auch diejenigen Komponenten von Wohlfahrt stehen, die wichtig für das subjektive Wohlbefinden der Menschen vor Ort sind, gleichzeitig jedoch nicht die großen Treiber von Ressourcen und Emissionen sind und aus diesem Grund keine besondere Herausforderung für das Einhalten der Leitplanken mit sich bringen. Beispiele für solche Dimensionen von Wohlstand sind soziale Gerechtigkeit, Bildung, zivilgesellschaftliches Engagement, Sicherheit und Partizipation.
Mit Blick auf das vierte Handlungsfeld – Governance – sollte das Augenmerk vor allem auf transformativen Governance-Strategien liegen, die die Transformation zu mehr Nachhaltigkeit unterstützen und dazu beitragen, das Leitbild einer „People-oriented“ Urbanisierung und neuer Wohlfahrtskonzepte zu verankern. Wichtige Fragen im Kontext von Governance sind dabei beispielsweise, wie die Möglichkeiten der politischen Partizipation für Menschen in Städten verbessert werden können, wie viel fiskalische Autonomie, welche regulatorischen Kompetenzen Städte in einem komplexen Mehrebenen-Governance-System haben sollten und wie ihre Rolle als neue gewichtige transnationale Akteure in der globalen Governance gestärkt werden kann.
Der Artikel ist Bestandteil von IFAIR’s Kooperation mit dem Diplomatischen Magazin und erschien zuerst dort in der Ausgabe 2/2015.