Die Politik der Investitionsstreitigkeiten
2012 ist die Cyprus Popular Bank mitten in der griechischen Staatsschuldenkrise zusammengebrochen. Die zypriotische Regierung schritt damals ein, um den Bankrott abzuwehren und übernahm die Kontrolle über das Geldinstitut. Obwohl dieses gerettet wurde, kritisierte ein griechischer Gesellschafter das staatliche Eingreifen und kündigte eine Klage an. Dieser Investor gab an, dass die Bankrettung gegen einen 20 Jahre alten Vertrag zwischen Zypern und Griechenland verstoße. Er verlangt nun 824 Millionen Euro Schadensersatz von der Regierung des Inselstaates.
Investor-Staat-Streitbeilegungen (ISDS) wie dieser haben in der letzten Zeit für große Aufmerksamkeit bei Entscheidungsträgern aber, auch in der Öffentlichkeit gesorgt. Die Forderung, die der griechische Investor an die Regierung Zyperns stellte, schürte vielerorts die Angst, dass es eine Welle von Investorenklagen gegen jene europäische Staaten geben könnte, die an der Krisenbewältigung beteiligt waren. Bislang mussten sich die Länder der EU über solche Vorgehen keine Sorgen machen. Jene Verträge, auf die in den Klagen verwiesen wird, sollten ursprünglich ausländische Investitionen in Staaten schützen, die kein verlässliches Rechtssystem haben.
Warum sind westliche Staaten seit Neuestem Gegenstand von Investorenansprüchen? Diese Frage habe ich am Beispiel der OECD-Staaten in meiner Bachelorarbeit untersucht. Es gibt im Wesentlichen zwei Szenarien, die das Risiko eines Investitionsschiedsverfahrens steigern. Das erste unterstreicht die Bedeutung der Fähigkeit eines Staates, die Ordnungspolitik in einem ordentlichen Verfahren und ohne unlautere Einflussnahme zu planen, durchzusetzen und zu überprüfen. Am deutlichsten zeigt sich dies in den Ländern in Zentral- und Osteuropa. Dort gerieten die Erwartungen der Bevölkerung in einen Konflikt mit den Maßnahmen zur Öffnung der ehemals kommunistisch geführten Wirtschaft. Verschärft wurde dieser Konflikt außerdem durch den institutionellen Umbau und die zunehmende demokratische Mitbestimmung der Bevölkerung.
Das zweite Szenario identifizierte Machtdynamiken in regionalen Wirtschaftsblöcken als Hauptgrund für Investitionsstreitigkeiten. Speziell in Nordamerika und der Europäischen Union scheint es Auseinandersetzungen zwischen der ökonomischen Führungsmacht und ihren Haupthandelspartnern zu geben. Dies ist allerdings nicht nur eine Frage von wirtschaftlicher Abhängigkeit. Vielmehr deutet die Anhäufung von Konflikten auf das Drängen vom Hegemon, die Rechtslage in seinen Partnerländern anzugleichen. Die Schiedsverfahren, die deutsche Investoren vor kurzem gegen Spanien eingeleitet haben, weil die dortige Regierung Subventionen für Photovoltaik gestrichen hat, sind beispielhaft für dieses Szenario.
Welches Fazit kann daraus geschlossen werden? ISDS ist nicht nur ein Instrument der Justiz. Wie bei jedem Rechtssystem gibt es eine starke ideologische Verbindung. ISDS schafft einen Ausgleich zwischen Investorenrechten und nationaler Souveränität, der durch die historische Erfahrung einer kapitalexportierenden Welt geprägt wird. Jüngste Schritte von Südafrika und Indien, von Verträgen mit einem ISDS-Mechanismus zurückzutreten, spiegeln diese Kluft wider. Neben diesem alten Konflikt ist ISDS neuerdings ein Mittel für hegemoniale Staaten, eine Rechtsangleichung voranzutreiben. Dieser Trend ist deutlich beim Nordamerikanischen Freihandelsabkommen (NAFTA) und beim Energiecharta-Vertrag zu beobachten. Wenn Investitionsstreitigkeiten internationalen Gerichten unterliegen, werden Konflikte, die in ihrer Natur hochpolitisch sind, eigentlich entpolitisiert. Während dies für große Konflikte Vorteile bringt, erweist es sich bei Fragen rund um die Gesundheits- oder Umweltpolitik als problematisch. In dieser Hinsicht muss die ISDS reorganisiert werden. Ihre Zuständigkeit sollte eingegrenzt werden und sie sollte sich den Standards von Unabhängigkeit, Transparenz und Subsidiarität verpflichten. Für alles andere sollte das internationale Recht nicht genutzt werden, um politische Prozesse zu verschleiern. Letzten Endes ist es dort nur der freie Widerstreit der Ideen und nicht rechtliche Normen, der den Ausgang eines Konflikts bestimmen kann.
Der Artikel ist Bestandteil von IFAIR’s Kooperation mit dem Diplomatischen Magazin und erschien dort zuerst in der Ausgabe 09/2015.