Der neue Gigant unter den Regionalorganisationen

Der neue Gigant unter den Regionalorganisationen

Am 24. Juni 2016, dem Tag, an dem die EU anfing zu implodieren, traten Indien und Pakistan der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) bei. Die Überschneidung der Ereignisse könnte einen geopolitischen Umbruch markieren, denn mit dem Beitritt der südasiatischen Staaten vertritt die SOZ nun 40 Prozent der Weltbevölkerung und ist somit die weltweit größte Regionalorganisation.

Neben den Großmächten China und Russland gehören die zentralasiatischen Staaten Usbekistan, Kasachstan, Kirgisistan und Tadschikistan zu den Gründungsstaaten. Das seit 2001 existierende Bündnis hat sich der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit, Wirtschafts- und Handelsfragen sowie der Stabilität in der Region verschrieben. Vor dem Hintergrund dieser diversen Aufgabenfelder stellt sich die Frage, welche Rollen Indien und Pakistan in der Organisation einnehmen werden und welche nationalen Interessen sie verfolgen?

Zugang und Einflussnahme in Zentralasien

Indien und Pakistan sind aufgrund gemeinsamer Geschichte, Kultur und Religion eng mit Zentralasien verbunden. Auf bilateraler Ebene wurde diese Verbundenheit stets hervorgehoben, um größtmöglichen Einfluss in der Region auszuüben. Dabei ist Zentralasien für Indien und Pakistan in zweierlei Hinsicht wichtig: energiepolitisch und sicherheitspolitisch.

Im Gegensatz zu Zentralasien, das über enorme Vorkommen an Kohlenwasserstoffe verfügt, sind Indien und Pakistan energiearme Länder. Daher ist Zentralasien für die Sicherung der indischen und pakistanischen Energieversorgung von zentraler Bedeutung. Zur Veranschaulichung: Das Energievorkommen in Tadschikistan reicht aus, um den gesamten Energiebedarf Indiens zu decken.

Der Kampf gegen Terrorismus, Radikalismus und Separatismus in der Region ist eine der Hauptaufgaben der SOZ. Die innere Sicherheit in Indien und Pakistan hängt größtenteils von der politischen Stabilität in Zentralasien ab. In Delhi und Islamabad hofft man daher – im Rahmen der SOZ – auf eine engere Kooperation in der Terrorbekämpfung.

Insgesamt wird die SOZ-Mitgliedschaft den Zugang zu Zentralasien deutlich erleichtern. Die Organisation bietet eine Plattform für einen verstärkten Austausch mit den zentralasiatischen Ländern und ermöglicht eine größere Einflussnahme in der Region.

Neue Dynamiken im zentralasiatischen Bündnis

Die SOZ wird durch die Erweiterung an Prestige und Legitimation gewinnen. Insbesondere der Beitritt Indiens wird die wirtschaftliche Komponente der Organisation stärken. Auch sicherheitspolitisch wird man von der indischen und pakistanischen Expertise im Umgang mit Terrorismus und Radikalismus profitieren können.

Allerdings ist anzunehmen, dass das angespannte politische Verhältnis zwischen Indien und Pakistan eine engere Zusammenarbeit innerhalb der Organisation erschweren könnte. Ein ähnliches Schicksal erfuhr die Südasiatische Vereinigung für regionale Kooperation (SAARC), die durch Spannungen zwischen Indien und Pakistan größtenteils lahmgelegt wurde. Der SOZ-Rahmen ermöglicht es Indien und Pakistan jedoch, eine gemeinsame Sprache zur Überwindung des Konflikts zu finden.

Auch die Afghanistan-Problematik könnte durch die Aufnahme Indiens und Pakistans eine neue Dynamik bekommen. Denn langfristig gesehen ist es möglich, dass die SOZ die Stabilisierung Afghanistans nach Abzug der U.S.- und NATO-Truppen übernehmen wird. Dabei könnte Pakistan eine Schlüsselrolle einnehmen. Aber auch das indische Militär, immerhin die drittgrößte Armee der Welt, könnte dann eine entscheidende Rolle spielen.

Neben China und Russland werden mit Indien und Pakistan zwei weitere Atommächte dem Bündnis beitreten. Diese erweiterte Plattform ermöglicht eine breitere Koordination in der Nichtverbreitung von Atomwaffen und eine Entschärfung in der atomaren Aufrüstung. Gesamtpolitisch betrachtet ist die SOZ ihrem Ziel, Sicherheit und Stabilität im Herzen Asiens zu erreichen, mit dem Beitritt der südasiatischen Regionalmächte durchaus ein Stück nähergekommen.

Der Artikel ist Bestandteil von IFAIR’s Kooperation mit dem Diplomatischen Magazin und erschien dort zuerst in der Ausgabe 09/2016.

© Titelbild: SCO Summit Ekaterinburg 2009