Russland nach den Duma-Wahlen
Diesmal war selbst Wladimir Putin überrascht. Einen so starken Zuspruch für die Kremlpartei Einiges Russland hatte auch der Chef der gelenkten Demokratie nicht erwartet. Die neue Duma ist nun noch homogener – die wenigen demokratisch gesinnten Abgeordneten verpassten den Einzug in das sowieso schon kremltreue Legislativorgan. Ein schwarzer Tag für die demokratische Opposition. Ihr desaströses Abscheiden ist vor allem auf die Gleichgültigkeit vieler Nicht-Wähler zurückzuführen.
Ungenutzte Chancen
Ein Blick auf die Städte genügt: 35 Prozent Wahlbeteiligung in der Hauptstadt, 30 Prozent in Sankt-Petersburg. Ein klares Zeichen von Apathie und Resignation – vor allem im Vergleich zu den Ergebnissen der Dumawahlen von 2011. Damals war die Wahlbeteiligung doppelt so hoch. Die Hoffnung auf Veränderung trieb Millionen Menschen an die Wahlurnen und Moskau überraschte mit Bildern des friedlichen Protests. Fünf Jahre später ist davon kaum noch etwas zu spüren – die Wahlen sind für die einst politisierte Mittelklasse bedeutungslos geworden. Und das obwohl sie sich durch ihr Aufbegehren sogar Reformen erkämpft hatte.
So wurde etwa die Prozenthürde für die Duma von sieben auf fünf Prozent gesenkt. Erstmals seit 2003 geht die Hälfte der Mandate wieder an Direktkandidaten. Außerdem wurde die Zulassung von Parteien erleichtert. Die damaligen Zugeständnisse des scheidenden Präsidenten Dmitri Medwedew hätten durchaus Auswirkungen auf die Wahlen vom vergangenen Sonntag haben können. Doch diese blieben aus. Nach zwei Jahren Dauerpropaganda und Hurrapatriotismus verharrt der liberale Teil der Gesellschaft in einer Schockstarre – die einstigen Forderungen scheinen vergessen.
Leichtes Spiel für Einiges Russland
Die Patriotismus-Welle hat den Protest zersetzt. Am Sonntag wurde das Schlachtfeld kampflos dem „anderen“ Russland überlassen. Damit war der Weg frei für einen erneuten Siegeszug der Kremlpartei Einiges Russland. Sogar die für die Opposition als vielversprechend gehandelten Direktmandate räumte die Kremlpartei ab. Tausende Staatsbedienstete aus den Regionen, allen voran aus den Kaukasusrepubliken, sorgten für das passende Ergebnis. An der ein oder anderen Stelle wurde mit dem Einwurf vorgefertigter Wahlzettel dem erwünschten Ergebnis zusätzlich nachgeholfen. Der Kreml machte sich die Resignation der Großstädte effektiv zu Nutze und konnte dabei noch scheinbar demokratische Wahlen vortäuschen. Ein gut inszeniertes Schauspiel, dem zusätzlich die Menschenrechtlerin Ella Panfilowa als Vorsitzende der Zentralen Wahlkommission die notwendige Legitimität und Transparenz verleihen sollte. Gelenkte Demokratie par excellence. Das vorläufige Ziel scheint erreicht worden zu sein – eine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit steht fest.
Trügerische Sicherheit
Ausgerechnet diese Sicherheit könnte dem Kreml jedoch auch zum Verhängnis werden. Polittechnologe Gleb Pawlowski schreibt der neuen Duma schon die Rolle eines „Beisetzungskomitees des Regimes“ zu. Die Spannungen in der Gesellschaft könnten in naher Zukunft zunehmen – Ereignisse, die in diese Legislaturperiode fallen, seien entscheidend für die weitere Entwicklung des Landes. Die politische Auseinandersetzung wird sich jedoch zwangsläufig auf andere Kanäle verlagern müssen, denn die neue Duma bietet schlichtweg keinen Raum für solche Diskussionen. Und diese sind unausweichlich, denn die wirtschaftliche Situation deutet noch lange nicht auf eine Besserung hin. Das Land droht in eine langwierige Stagnation zu rutschen. Die staatlichen Reserven schmelzen vor sich hin. Wie lange der Kreml in einer derartigen Situation seinen sozialen Verpflichtungen nachkommen kann, ist fraglich. Böse Stimmen behaupten, die Staatsfonds könnten bereits Ende 2017 aufgebraucht sein. Schmerzliche Reformen müssen her – Steuererhöhungen und Lohnkürzungen könnten die immensen Staatsausgaben senken, doch das könnte den ungeschriebenen Gesellschaftsvertrag zwischen Putin und dem russischen Volk enorm bedrohen. Sozialer Protest wäre eine mögliche Folge.
Die Massen erreichen
Bis dahin muss Russlands demokratische Opposition schnellstmöglich umdenken – Kritik an Wladimir Putin allein reicht für den Erfolg aber nicht aus. Dafür ist der kollektive Rausch im „postkrimschen“ Russlands doch noch nicht vollends abgeklungen. Und dennoch setzt langsam Katerstimmung ein. Der Zeitpunkt könnte also kaum besser sein, um überzeugende Konzepte einer breiten Öffentlichkeit vorzustellen und Lösungen für ihre gravierenden Probleme anzubieten. Die Opposition sollte es wagen, dabei auch soziale Themen anzusprechen. Themen, die die Massen bewegen und für einen großen Teil der Bevölkerung den harten Alltag ausmachen. Zugegebenermaßen kein leichter Weg in einem Staat, der seinen Widersachern kaum Freiraum bietet. Doch ein erneutes Scheitern der demokratischen Opposition wird Russlands strukturelle Krise weiter verschärfen.