Book Review (German): Im Weißen Haus. Die Jahre mit Barack Obama von Ben Rhodes (2019)

Book Review (German): Im Weißen Haus. Die Jahre mit Barack Obama von Ben Rhodes (2019)

Wer sich für die gegenwärtigen Widersprüchlichkeiten der USA interessiert, wird an diesem Buch nicht vorbeikommen. Denn die einstige Supermacht befindet sich im Niedergang. Neben den geopolitischen Machtverschiebungen haben die USA mit komplexen innenpolitischen Problemen zu kämpfen. Dazu gehört ein erratischer US-Präsident, der erst kürzlich das Amtsenthebungsverfahren überstanden hat und mit seinem disruptiven Politikstil weiter die US-Gesellschaft polarisiert und spaltet. Hinzu kommen ökonomische und kulturelle Entfremdungsprozesse, die sich verschärfen. Doch Trump für all diese Probleme verantwortlich zu machen wäre falsch. Daher lohnt ein selbstkritischer Blick auf die Ära Obama. Diesen liefert der stellvertretende Nationale Sicherheitsberater von Obama, Ben Rhodes, in seinen lesenswerten Memoiren.

Rhodes beschreibt zu Beginn die letzten Monate von Obama als US-Präsident. Dabei schildert er ein Abendessen mit Angela Merkel in Berlin. Nach dem dreistündigen Gespräch teilt Obama seinen Vertrauten mit, dass er mit Merkel über ihre Entscheidung zu einer weiteren Kanzlerkandidatur gesprochen habe. Rhodes macht deutlich, dass Obama sie ermuntert habe, nochmal anzutreten. Rhodes äußerte sein Bedauern, indem er beim Anstoßen mit deutschen Kollegen im Nebenzimmer sagte: „Auf die Anführerin der freien Welt, […].“ (S. 14) Dazu Obama: „Angela, sagte er kopfschüttelnd, ist jetzt ganz allein.“ (S. 14) Rhodes bemerkt konsterniert: „Zum ersten Mal seit acht Jahren schienen die Geschicke der Welt nicht mehr in unseren Händen zu liegen.“ (S. 15)
Dieser Umstand machte sich vor allem im Nahen und Mittleren Osten bemerkbar. Als der „Arabische Frühling“ beginnt, steht Ägypten unter Präsident Hosni Mubarak im Mittelpunkt. Spannend ist ein Gesprächsausschnitt zwischen Obama und Mubarak, in dem Obama Mubarak den Rücktritt nahelegt: „Ich denke, es ist an der Zeit, Ägypten eine neue Regierung zu geben. Ich glaube, dass die Muslimbruderschaft keinen Vorteil aus der Situation ziehen kann, wenn Sie in absehbarer Zeit Ihren Platz frei machen.“ (S. 156) Daraufhin entgegnete ihm Mubarak scharf: „Sie verstehen nichts von der Kultur des ägyptischen Volkes. […] Ägypten ist nicht Tunesien. Die Proteste werden bald vorbei sein.“ (S. 156) Fortan wurde Obamas Außenpolitik insbesondere in Libyen als „Führung von hinten“ (Vgl. S. 179) charakterisiert. Rhodes schreibt: „Wir würden verurteilt werden, wenn wir eine Doktrin ausriefen, und verurteilt, wenn wir es nicht täten.“ (S. 180)

Hier liegt die große Stärke des Buches. Einerseits offenbart es die Schwierigkeiten, die mit dem Beruf einhergehen, wie z. B. den Schlafmangel (nicht mehr als drei Stunden) oder einen gereizten Obama, der Rhodes wegen fehlender Rasur zurechtwies: „Reißen Sie sich zusammen […].“ (S. 174) Andererseits besticht es mit der Fähigkeit zur Selbstkritik: „Ich nahm all die Kritik an Obama viel zu persönlich, […].“ (Vgl. S. 181) So die Kritik an der „roten Linie“ in Syrien, die Obama definierte. Sollte das Assad-Regime Chemiewaffen einsetzen, drohte Obama mit der Anwendung von militärischer Gewalt. Schließlich intervenierte er nicht. Warum? Ausschlaggebend seien die Bürden des Irakkrieges gewesen, die Obama zu tragen hatte. Dies führte zu Misstrauen und Skepsis auf allen Ebenen (Geheimdienste, Militär, Presse) gegenüber militärischen Abenteuern in dieser Region.

Rhodes Memoiren umfassen einen Zeitraum von zehn Jahren (2007-2017) und enthalten minutiöse Darstellungen zu zahlreichen Themen: Iranpolitik, den Tod Osama bin Ladens, das spannungsreiche Verhältnis zu Netanjahu, Russland oder Obamas Entspannungspolitik mit Kuba.

Es ist ein lehrreiches Buch, das durch seine analytische Klarheit und Selbstkritik besticht und interessante Einblicke hinter die Kulissen einer absteigenden Weltmacht gewährt. Abschließend bekennt Rhodes, dass er immer noch an die Wahrheit glaube, „eine Wahrheit, die mich dazu verpflichtet, die Welt so zu sehen, wie sie ist, und an die Welt zu glauben, wie sie sein sollte.“

Dieser Artikel ist zuerst in Welttrends, Das außenpolitische Journal, Nr.159, Januar 2020, S. 66-67 erschienen.

Majd studiert Geschichte, Politikwissenschaften und Soziologie, ist Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes, Stipendiat der Deutschlandstiftung Integration, Fulbright-Alumnus, Redakteur und Literaturverantwortlicher des außenpolitischen Journals WeltTrends sowie IFAIR-Mitglied.