Das neue alte Gesicht Polens
Seit November 2015 ist in Polen eine neue Regierung im Amt, die von der rechtspopulistischen Partei PiS (Recht und Gerechtigkeit) gestellt wird. Mittlerweile mehren sich die Anzeichen, dass das Land vor fundamentalen Veränderungen steht. Es drohen Einschränkungen der Bürgerrechte, der Zuwachs von Fremdenfeindlichkeit und die Beeinträchtigung staatlicher Grundstrukturen.
„Ich liebe meine Landsleute, obwohl sie mich zur Weißglut bringen.“ [1] Die Ambivalenz dieser Worte könnte in diesen Tagen treffender nicht sein. Das Zitat stammt von Władysław Bartoszewski, dem in diesem Jahr verstorbenen, ehemaligen Außenminister Polens, der jedoch für das Land viel mehr war als das: Überlebender des Konzentrationslagers Auschwitz, Kämpfer während des Warschauer Aufstands, Aktivist in der Solidarność-Bewegung – ein Bürgerrechtlicher durch und durch. Bis zu seinem Tod galt er in seiner Heimat als moralische Instanz, Angela Merkel würdigte ihn als „unbeugsamen Streiter für Freiheit und Versöhnung“. Wie hätte Bartoszewski reagiert, hätte man ihm gesagt, dass sein Land eine 180 Grad-Wendung vollzieht, sich von Europa abwendet und die Regierung innenpolitisch eine rückwärtsgewandte Neuausrichtung in die Wege leitet? Er hätte sich wahrscheinlich an die Jahre 2005 bis 2007 zurückerinnert gefühlt, in denen die nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) [2] erstmals den Regierungschef stellte und Polen zum europäischen Außenseiter machte.
Eben jene Partei hat nach den Parlamentswahlen im Oktober dieses Jahres die absolute Mehrheit erreicht und regiert nun alleine, angeführt von Ministerpräsidentin Beata Szydło, die erst kürzlich die Flaggen der EU aus dem Pressesaal ihres Amtssitzes entfernen ließ und damit nicht nur für europaweite Empörung sorgte, sondern auch ein Zeichen für den neuen nationalistischen Kurs ihrer Regierung setzte. Untrennbar mit der PiS verbunden und, so scheint es, beinahe allgegenwärtig, ist der frühere Regierungschef und jetziger Parteichef Jarosław Kaczyński. Viele sehen in ihm den stärksten Mann der PiS, der aus dem Hintergrund geschickt die Fäden zieht und versucht ist, die Macht „seiner“ Partei weiter auszubauen. Auch er sorgte bereits mit rechtspopulistischen und fremdenfeindlichen Aussagen für Aufsehen, zuletzt als er behauptete, dass Flüchtlinge die „Cholera auf die griechischen Inseln […] und verschiedene Parasiten“ brächten. Der dritte im Bunde ist Andrzej Duda, seit Mai gewählter Präsident Polens, ausgebildeter Jurist und vormals Mitglied der PiS. Schon mit seiner Wahl deutete sich ein Rechtsruck im Land an, der in den Parlamentswahlen seine Bestätigung fand. Duda, von einigen als Marionette Kaczyńskis belächelt, betonte stets seine Neutralität und überparteiliche Stellung. Seine tatsächliche Unabhängigkeit von Kaczyński ist allerdings höchst fraglich. Im Wahlkampf glänzte er mit vielen – meist auch illusorischen – Wahlversprechen, mit denen er die Sorgen des „kleinen Mannes“ bedienen wollte. Seine Bürgernähe verhalf ihm schlussendlich zum Wahlsieg.
Der polnische Staat ist, so scheint es, gänzlich in der Hand der PiS. Was von der neuen Regierung erwartet werden kann, hat sich in den letzten Wochen bereits angedeutet:
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1. Flüchtlingspolitik:
Während die vormalige Regierung um Ewa Kopacz noch der Aufnahme von Flüchtlingen – wenn auch lediglich einer kleinen symbolischen Zahl – zugestimmt hatte, wurden jegliche Hoffnung auf Beibehaltung dieses Kurses durch die neue Regierung, spätestens nach den Anschlägen von Paris im November, enttäuscht. Der Minister für Europäische Angelegenheiten Szymański kündigte an, über eine Aufnahme von Flüchtlingen könne vor dem Hintergrund der Anschläge nicht mehr entschieden werden. Absurd war auch der Vorschlag des neuen Außenministers Waszczykowski, der zur Gründung einer Armee aus syrischen Flüchtlingen aufrief. Seiner Meinung nach könne es nicht sein, dass man Soldaten in den Kampf nach Syrien schicke, „während hunderttausende Syrer Unter den Linden ihren Kaffee trinken“. Die Regierung hat es sich zum Ziel gesetzt, auf die Revision der europäischen Beschlüsse zum zwischenstaatlichen Verteilungsmechanismus hinzuwirken.
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2. Außenpolitik:
Laut polnischer Verfassung wird das Land vom Präsidenten nach außen repräsentiert. Die Beziehungen zwischen Deutschland und Polen sind seit jeher kompliziert. Unter der Präsidentschaft von Lech Kaczyński, dem im Jahr 2010 bei einem Flugzeugabsturz in Smolensk ums Leben gekommenen Bruder des jetzigen Parteichefs Jarosław, waren die deutsch-polnischen Beziehungen von gegenseitiger Abneigung geprägt. Das Verhältnis zu Russland, wenn man es überhaupt als ein solches beschreiben kann, war ebenso eisig. Bei seinem Antrittsbesuch in Berlin setzte Präsident Duda aber im Gegenzug positive Signale, sowohl für die bilaterale Zusammenarbeit als auch für die Europa- und Außenpolitik im Allgemeinen. Szydło bekannte sich zwar in ihrer Regierungserklärung zur Europäischen Union, bemängelte aber ihre fehlende Effektivität. Ihre Partei setzt sich außerdem für eine breitere Unabhängigkeit Polens von größeren EU-Staaten – auch Deutschland – ein und setzt auf verstärkte nationale Souveränität. Der „Umgang“ und die Kooperation mit der neuen Regierung werden sicherlich unangenehmer als mit der abgewählten, es bleibt jedoch abzuwarten, ob von den letzten acht Jahren guter und vertrauensvoller deutsch-polnischer Zusammenarbeit nun abgewichen wird.
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3. Innenpolitische Umwälzungen:
Am rasantesten vollzieht sich die Umgestaltung des politischen Lebens durch die PiS jedoch in der Innenpolitik. In polnischen Medien wird die Partei „Recht und Gerechtigkeit“ ironisch als „Gesetzlosigkeit und Ungerechtigkeit” [3] bezeichnet.
Mehrere Begebenheiten sorgten in den letzten Wochen für Schlagzeilen: Präsident Duda begnadigte den neuen, wegen Amtsmissbrauch angeklagten, Geheimdienstkoordinator und ehemaligen Leiter der früheren Antikorruptionsbehörde, obwohl die Zulässigkeit der Begnadigung in einem noch laufenden Gerichtsverfahren juristisch nicht unumstritten ist. Nach dem Rücktritt mehrerer Geheimdienst-Chefs wurden deren Posten außerdem in einer nächtlichen Sitzung durch einen Parlamentsausschuss neu besetzt.
Für Empörung in der Gesellschaft sorgte auch der Fernsehauftritt des neuen Kulturministers Piotr Gliński. Während eines Interviews warf Gliński der Journalistin Lewicka die Verbreitung von Propaganda vor und drohte mit Konsequenzen, woraufhin sie vom TV-Sender als Moderatorin der Sendung abgesetzt wurde. Angekündigt wurde auch eine umfassende Reform der öffentlich-rechtlichen Medien. Umgestaltet werden sollen insbesondere der öffentliche Rundfunk und die Polnische Presseagentur. Beobachter sehen darin eine Gefahr für die Pressefreiheit.
Am heftigsten debattiert und kritisiert wurde allerdings die im Eilverfahren vollzogene Verabschiedung eines Gesetzes zum polnischen Verfassungsgericht. Auf Grundlage dieses Gesetzes, welches die erst kürzlich erfolgte Bestellung von fünf Verfassungsrichtern für ungültig erklärte und der Regierungspartei nun die Neubesetzung der Stellen erlaubte, vereidigte Präsident Duda Anfang Dezember vier neue Verfassungsrichter und setzte sich damit der Kritik hochrangiger Juristen und Abgeordneter der Opposition aus, die darin eine Einflussnahme auf das höchste Gericht sehen. Der frühere Verfassungsgerichtspräsident Andrzej Zoll beschreibt den Akt als Angriff auf Justiz und Demokratie und Beginn eines totalitären Systems voraus. Als sei dies nicht genug, drohte Kaczyński denjenigen Verfassungsrichtern, die dem neuen Gesetz kritisch gegenüberstehen, mit der Durchführung von Disziplinarverfahren.
Im Anblick dieser Veränderungen fällt es schwer, die Zuversicht für die politische Zukunft des östlichen Nachbarn Deutschlands nicht zu verlieren. Dies ist bedauerlich, insbesondere da Polen in den letzten Jahren eine enorme Entwicklung vollzogen hat: Wurde Polen vor dem Beitritt zur Europäischen Union noch als (wirtschaftlicher) „Problemfall“ gesehen, trifft dies heute nicht mehr annähernd zu. Sein rasantes Wachstum ist größtenteils EU-finanzierten Programmen zu verdanken, die politische Situation galt bisher als stabil und berechenbar. Polen prosperierte durch die EU. Dies könnte sich jetzt ändern: Im Zusammenhang mit der Verurteilung von Flüchtlingen äußerte sich Eurogruppenchef Dijsselbloem erst im Oktober zur Wahl der nationalkonservativen Partei PiS und forderte Gegenleistungen für die jährlich milliardenhohe EU-Unterstützung. Andernfalls müsse an eine anderweitige Verwendung des EU-Haushalts gedacht werden.
Vier Jahre bleiben der PiS, um den Regierungsauftrag und die umfangreich gegebenen Wahlversprechen in die Tat umzusetzen. Es wird sich zeigen, ob sie in der Lage ist, gerade der jungen Generation, auf der ihr Wahlsieg größtenteils zurückzuführen ist, eine moderne Perspektive zu schaffen. Das politisch-weltanschauliche Bild der Partei lässt jedoch daran zweifeln.